Und, wie machst du´s so? Ein Text von Thomas

Ich mag keine Gebrauchsanweisungen. Vor allem bei technischen Dingen. Meist tüftle ich mich irgendwie so durch, bis irgendwas gar nicht geht. Irgendwie hat man sich ja über die Jahre auch so ein Grundverständnis bestimmter Funktionen angeeignet. Ich bin also zunächst mehr als skeptisch, als ich im Programm des 10. Porn Film Festival Berlin auf einen Workshop mit folgendem Titel stoße: I’m so horny: How to watch Porn and take care of my arousal. Hey: Pornogucken kann ich ja wohl. Und ich werde ja wohl am besten wissen, wie ich mich dabei anfassen muss, um möglichst geil zu werden, möglichst schnell zu kommen, möglichst lange Spaß zu haben, je nach Situation. Meine Phantasien, mein Körper, meine Lust.

Andererseits mag ich es, mich so offen wie möglich auf Situationen einzulassen. Gerade auf Festivals. Treiben lassen, neugierig sein, mal schauen. Erlebnismodus. Und die Idee, ein Pornofestival auf der Metaebene zu beginnen, mir erstmal erklären zu lassen, wie ich am besten Pornos gucke, noch bevor ich mich so richtig in den Kinosessel schiebe: charmant. Angenehm schräg und strukturalistisch. Und mit Draufsicht eben. Ich bin als Journalist schließlich nicht zum Spaß da. Also mache ich die Hausaufgabe, suche zuhause ein Pornofilmchen aus, das ich gerne mag, und stehe an meinem ersten Festivaltag mit meinem Tablet vor der Tür des angekündigten Raums.

Wir sind zu siebt, Workshopleiterin und -leiter eingerechnet. Drei Frauen, vier Männer. Zwei Teile sind geplant: ein theoretischer, ein praktischer. Erstmal reden wir. In der Gruppe, vor allem aber mit wechselndem Gegenüber unter jeweils vier Augen. Die Fragen- und Themenkataloge kriechen in jedes Detail. Nach jedem Verlesen vor der nächsten Runde stellen sich bei mir zwei widersprüchliche Gedanken gleichzeitig ein: Fällt mir dazu wirklich genug Erzählbares ein? Und: Dafür wird die Zeit niemals reichen. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich einerseits über ausreichende und regelmäßige Porno- und Masturbationserfahrung verfüge. Und mir das andererseits so selten bewusst mache, dass ich erstmal nach Anknüpfungspunkten ringe.

Wann habe ich zum ersten Mal bewusst Pornographie konsumiert? Welche, wie stieß ich darauf, wie hat mich das geprägt? Welche Vorlieben habe ich heute, welche Kategorien, Details, Bewegungen, Geräusche machen mich geil? Welche Medien nutze ich, welche Formate? Wann und wo habe ich Lust dazu? Inszeniere ich mir Situationen, gibt es Rituale, bin ich auf Orte, Bewegungen, Körperhaltungen festgelegt? Wie viel Zeit nehme ich mir, wie strukturiere ich das Anschauungsmaterial? Mache ich selbst Geräusche dabei? Erlebe ich Widersprüche in meiner Lust, kenne ich Automatismen, die mir lästig sind?

Je länger wir reden, desto deutlicher werden die Erinnerungen. Ich schlendere durch meine Lust, schaue mir beim Masturbieren zu, mache mir Muster und Macken bewusst. Ein angenehm sanfter und doch alle Sinne schärfender Einstieg in das Festival: zu formulieren, was mich beim Pornokonsum ausmacht, mich zu vergewissern, wo meine visuelle und auditive Lust wohnt, wie ich darauf reagiere und damit umgehe. Und zu sehen, dass ich damit zufrieden bin, dass ich mich wohlfühle mit dem, was ich herausfinde.

Viel wertvoller jedoch sind die Perspektiven der anderen. Als Kontrast, Reibungs-, Projektions- und Identifikationsfläche, zur Selbstvergewisserung und Horizonterweiterung. Wie funktioniert Lust, Geilheit, Körperlichkeit für andere Menschen, wenn sie mit sich und der Pornographie alleine sind? Welche Rituale, Genussmomente, Kompromisse und Selbstinszenierungen erleben sie? Eines der stärksten Bilder, die ich aus dem Workshop mitnehme, ist das einer französischen Gesprächspartnerin, die ihren Pornokonsum regelmäßig zelebriert: mit gedämpftem Licht, gutem Wein und blutigem Rindersteak. Das ist mir in seinem Hedonismus sehr nahe und nachvollziehbar. Auch wenn ich eher dazu neige, kulinarische und sexuelle Genüsse nacheinander zu erleben. Als merkwürdig beruhigend empfinde ich die Erkenntnis, dass viele der anderen sich Phantasien hingeben, die mit ihren Idealen und Überzeugungen im Alltag nichts zu tun haben. Dass die Lust irrational bleibt, sich keinen politischen Argumenten beugt. Dass das Es am Ende macht, was es will.

Wir sind uns auch schnell einig, dass das Festival eigentlich ein merkwürdiger Rahmen ist, Erregendes zu konsumieren – mit anderen in einem Raum, in einen Kinosessel gezwängt, die körperlichen Bedürfnisse zurückstellend. Zugleich ist es perfekt geeignet, alternative Pornographie als kollektive Utopie zu leben. Die Festivalbesucherinnen und -besucher sind eine eingeschworene Gemeinschaft auf Zeit, ausgesprochen offen, tolerant und häufig viel kommunikativer als im Alltag. Wer sich im Pornokontext begegnet, lernt sich sehr schnell und sehr persönlich kennen. Der Austausch funktioniert auch außerhalb des Workshops ganz wunderbar. Für mich vielleicht um so besser, nachdem ich mich bereits an meinem ersten Festivaltag aufs Intimste offenbart habe.

Vertraute Begegnungen mit Fremden üben einen geheimnisvollen Reiz aus. Sie funktionieren für viele als attraktive Sehnsucht, für einige als gelebte Auszeit vom Bekannten. Es ist wohl kein Zufall, dass der Film häppchenweise der Regisseurin Maike Brochhaus beim Porn Film Festival vor zwei Jahren so gut funktionierte: Einander unbekannte Menschen wurden in einer potentiell intimen Situation inszeniert und mit Gesprächs- und Begegnungsanlässen ausgestattet. Als Voyeur liebte ich es, ihre Geschichten zu hören. Als Exhibitionist hätte ich es geliebt, mittendrin zu sitzen.

Ebenfalls vor zwei Jahren inszenierte das freie Theaterkollektiv theatrale subversion in Dresden das Projekt Liebe – Ein Fest der unkonventionellen Beziehungsformen an drei aufeinanderfolgenden Abenden als eine Reihe von Erlebnisräumen. Auch hier gelang es mit unterschiedlichen Strategien, sich wildfremde Menschen mit großer Lust in intimste Gespräche vertiefen zu lassen. Theaterbesucherinnen und -besucher mit Formularen loszuschicken, um andere auszufragen, mit wie vielen Menschen sie schon Sex hatten oder welche Konstellationen mit mehr als einem anderen Menschen sie sich vorstellen könnten. Nachhaltig beeindruckt hat mich ein  Raum mit Zweier- und Dreier-Zelten. Wer wollte, konnte sich mit vier anderen in ein Zelt quetschen, um dort reihum eine Geschichte aus der eigenen sexuellen Biografie zu erzählen. Das funktionierte, weil es ein Tausch war. Und weil es als Herausforderung empfunden wurde, sich mit einem Erlebnis in Bezug zu setzen: Die Auswahl der intimen Details erzeugte eine narrativ verwobene Gruppe, auch über die Zeltwände hinaus.

Im praktischen Teil des Workshops I’m so horny geht es schließlich um Alternativen zu gewohnten Haltungen und Ritualen bei Pornokonsum und Masturbation. Atmung, Bewegung, Laute werden ausprobiert. Wir schauen dabei unsere mitgebrachten Pornos oder einen groß projezierten. Wir könnten uns auch die Kleider von Leib reißen und uns zu sexuellen Höhepunkten treiben. Die große Erregung bleibt jedoch aus. Das hat zu wenig mit mir zu tun, bleibt abstrakt und blutleer. Simulationen auf dem Trockenen. Wozu außerdem das Kleingedruckte in der Gebrauchsanweisung studieren, wenn doch alles prima läuft? Viel lieber würde ich noch ein wenig in den Gebrauchsanweisungen der anderen blättern. Als ich den Workshop verlasse, habe ich Lust auf Menschen. Außerdem auf Wein und Rindersteak.

Einen ausführlichen Text über Thomas´ Eindrücke vom Festival gibt´s übrigens auch auf Zebrabutter.

Fotocredit: (c) Aaron TsuruTsurufoto.com

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

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