Verlvstprinzip – ein Text von Sia

Kennst du das, wenn die Welt manchmal einen Augenblick lang ins Stocken gerät? Dann dreht sie sich weiter als wäre nichts gewesen, aber du weißt genau, du hast sie taumeln sehen. Es ist der erste sonnige Tag nach einer Woche grau. Das Laub im kleinen Park neben dem Moviemento ist gelb, die Zeugen Jehovas predigen fröhlich vom Untergang während nebenan am Pornfilmfestival Berlin ein Porno den nächsten jagt. Wir trinken Kaffee. Und dann dieser Satz: Ich war schwanger. Ich habs erst gemerkt, als ichs verloren habe.

Die Welt bleibt kurz stehen, weil ihr wie Schuppen von den Augen fällt, dass alles endlich ist. Trotz Porno und Glitzer und Herbstlaub und dem unbedingten Willen nach Jetzt, jede Menge Jetzt. Wahrscheinlich sind es diese Momente, die mich in Wahrheit antreiben. Aber das hier ist nicht meine Geschichte, sondern die von Sia. Und ich bin froh, dass Sie sie hier erzählt.

Verlvstprinzip

ein Text von Sia

Welch eine Freude: Endlich beginnt das 10. Pornfilmfestival in Berlin, auf das ich mich zwei lange Jahre, durch das selbstverschuldete Verpassen der 9. Ausgabe, gefreut habe. Freudig erregt (no pun intended) scrolle ich also auf und ab durch die digitale Version des Festivalkatalogs, setze ein paar virtuelle Häkchen an Filme, die ich gerne sehen möchte, ärgere mich ein bisschen, dass es wieder einmal nicht klappt alles zu schauen, was so spannend klingt, lese vorwärts und irgendwann mitten in der Nacht auch rückwärts die Synopsen und frage mich, ob es wohl für alles noch Karten geben wird.

Als ich schlussendlich in dem ersten Film meiner großen Auswahl sitze und das Licht ausgeht, mache ich es mir so richtig bequem nur um 15 Minuten später festzustellen, dass mir sehr sehr schlecht wird. Plötzlich. Ich kann nicht hingucken, dabei passiert gar nicht wirklich irgendetwas, das mich bisher gehoben oder auch nur überrascht hätte. Nachdem ich also die restliche Zeit damit zubrachte, möglichst wenig auf die Leinwand zu schauen, stolperte ich aus dem Kino und begann eine 4tägige Konteplation dessen, was ich mittlerweile als meine persönliche Version von “oversexed” verstehe. Mein Pornfilmfestival fand in diesem Jahr nicht statt. Falls es euch interessiert, lest ruhig weiter. Wenn nicht, versucht es vielleicht trotzdem, denn auch wenn es auf diesem wunderfeinen Blog eigentlich um Lust geht, handelt dieser Text von einer Zeit nach der Lust. Einer nicht so hübschen, aber häufig auftretenden.

Eigentlich war alles ganz einfach. Zwei Menschen treffen und mögen sich, mal mehr und mal weniger akut und landen nach einer gewissen Zeitspanne ganz transzendal und großartig miteinander im Bett. Es hätte alles ganz flauschig werden können, aber dann spielt das Leben dazwischen. Das kennen viele von uns zur genüge: Herzen brechen, werden gebrochen, aber das vergeht meist wieder. Leider befand ich mich jedoch plötzlich in meiner persönlichen Variante einer “Bravo”-Foto-Love-Story wieder, denn eines Tages, mitten bei der Arbeit, traf mich etwas in den Unterleib, reichlich heftig, sehr plötzlich und unerwartet, woraufhin ich (entschuldigt meine Ausdrucksweise) begann zu bluten wie ein abgestochenes Schwein.

Es war also das passiert, was immer wieder trotz Verhütung eintritt: Ich war schwanger. Die Betonung liegt auf “war”, denn just in diesem Moment habe ich das, was ich mittlerweile liebevoll als meinen kleinen Zellklumpen bezeichne, verloren. Das passiert extrem häufig in den ersten Wochen einer Schwangerschaft und bleibt auch gar nicht selten unbemerkt. Die Zahlen der Statistiken reichen von 45 – 70% (glaube ich). Allerdings nützt eine Statstik außerhalb des Mathematik-Unterrichts herzlich wenig, außer, dass sie aufzeigt, dass man damit nicht alleine ist. Aber das war es auch schon.

Schwanger sein und Kinder kriegen war nie ein Teil meines Plans und ist es auch heute nicht, aber bis zu diesem Tag war das alles nur Theorie, in der Praxis lernte ich eine neue, erschreckende und erschrockene Seite an mir kennen. Nach vielen Stunden Gesprächen mit engen FreundInnen und vielen vielen Alkoholeinheiten erreichte ich den Punkt, an dem ich mir folgendes eingestehen konnte: Ich trauere um ein Kind, dass ich nicht wollte, von einem Menschen, der mich und es nicht wollen würde.

Trauer. Das ist der entscheidende Punkt, weshalb ich auch diese Zeilen tippe. Es wird zu selten darüber gesprochen, dass auch Menschen, die selbst keine Kinder bekommen möchten, manchmal um den Verlust derselben trauern. Eine Schwangerschaft geht selten spurlos vorbei. Ein Abbruch ebenso nicht. Es verändert zwar nicht langfristig das gesamte Leben, aber kurzfristig aufgrund der hormonellen Umstellung den Körper und das Fühlen während er es sich mittelfristig im Vordergrund des Denkens bequem macht und sich eben nicht wegrationalisieren lässt. Es tut manchen Menschen weh einen kleinen Zellklumpen zu verlieren, auch wenn sie ihn nicht geplant hatten, auch wenn sie vorher ohnehin keine Kinder wollten, denn in dem Moment wird auch die Wahl genommen, sich für ihn entscheiden zu können.

Nein, ich möchte immer noch keine Kinder, aber ich wünsche mir einen offeneren Umgang mit allen Konsequenzen die Lust haben kann, denn allein in meinem engen FreundInnenkreis bin ich die vierte, die dieses Jahr einen kleinen Zellklumpen verloren hat. Einige verloren ihn so früh wie ich, in den ersten Wochen, andere kurz vor dem Ende des ersten Trimesters, wieder andere haben sich für eine Abtreibung entschieden, bei allen war die Schwangerschaft ungeplant, wenngleich bei einigen auch willkommen. Aber was ich aus den Gesprächen mit all diesem Personen gelernt habe ist, dass wirklich offenes Sprechen darüber nur selten möglich, aber stärker gewünscht ist.

Deswegen, wenn ich schon keine Pornos gucken kann im Moment, lasst uns virtuellen Whiskey trinken und über Verlust sprechen… immerhin kann man das ja auch nicht ohne “Lust” schreiben.

Photo: (c) Aaron Tsuru tsurufoto.com

Model: Tsurubride

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

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