Was schulden wir unserer Sinnlichkeit? Ein Text von LuRa

Die kleine Verführung zwischendurch. Darum geht es doch irgendwie meistens, oder? Eine beiläufige Berührung, ein dann doch irgendwie etwas zu langer Blick. Ein Rock, der eben doch das entscheidende Stück zu weit nach oben rutscht und kurz Einblick in das bietet, was sein könnte. Ich schätze, das ist das was die meisten Leute Erotik nennen, wenn sie sich und ihre Begierden von plumper Mainstreampornographie abgrenzen wollen. Für mich klingt „Erotik“ immer nach Videokabinen, Strapsband und schwitzigem Alteleutegetatsche, aber Sinnlichkeit, die mag ich. Ich steh auf scharfe Sinne, die gleichmäßig angesprochen werden. Und freue mich deshalb umso mehr über diesen Text von LuRa – Laster der Worte. Diese schönen Menschen planen außerdem eine Crowdfundingkampagne für ein richtig, richtig sinnliches Theaterprojekt, für das wir ihnen all unser Geld geben sollten. Aber das erzählen sie uns jetzt am besten einfach selbst:

thoma und sarah

Gute Geschichten entführen uns aus unserem Alltag, lassen uns staunen, träumen und helfen uns in einer Welt, wo Anpassung die Norm ist, nicht noch die letzte Tasse im Schrank zu verlieren.
Hier an dieser Stelle ein Essay, über eine Frage, die uns nicht loslässt: Was schulden wir eigentlich unserer Sinnlichkeit? Und wie können wir diese Schulden lustvoll abarbeiten?

– Was schulden wir unserer Sinnlichkeit? –

Ein Text von LuRa

 

Liebe Leser, ich offenbare es euch nicht gerne, doch ich fürchte, es ist meine Pflicht: Ihr habt Schulden gemacht.

Nun, zum Glück leben wir im 21. Jahrhundert. Hier und jetzt, wir alle wissen es, werden Schulden am besten nie beglichen. Man kann sie anhäufen, sogar verkaufen und dann darauf – neue Schulden häufen.

Falls doch das Chaos regiert, gibt es ein prominentes Gegenmittel. Seid ihr noch nie auf die Idee gekommen, eine Bad Bank auszurufen? Hättet ihr eine persönliche Bad Bank, würde eure notleidende Sinnlichkeit per Knopfdruck in diese Abwicklungsanstalt wandern. Da wäre sie unter den anderen Giftpapieren gut aufgehoben, ihr könntet so weitermachen wie bisher.

Liebe Leser, ihr habt Schulden gemacht, dass möchte ich nochmals unterstreichen. Und so Leid es mir tut, ihr betrügt euch selbst. Euren Geist. Eure Physis.

Also, nun zur Sache: Was schuldet ihr eurer Sinnlichkeit?
Sind es kleine, verstohlene Zuneigungsbekundungen an euren Körper? Mal kein routiniertes allmorgendliches nach unten fahren, zugreifen, rauf und runter, erbeben, Erleichterung – fertig?

Wie wäre es gefälligst mal, dem Rest auch einen fröhlichen Morgen zu wünschen, ganz leicht, fast sacht, könnten eure Hände den Körper berühren, die eigene Wange liebkosen, die Brust umschmeicheln, um dann gemächlich an den Flanken nach unten zu fahren. Liebevoll gleitest du dann an deinen intimsten Stellen entlang, entdeckst geheime Lustpunkte an dir und das alles – jetzt kommt es: ohne den großen Knall am Ende.

Vielleicht sind wir unserer Sinnlichkeit auch schuldig, uns offen einzugestehen, dass das Begehren nicht gleichzusetzen ist mit heterosexuellen, monogamen Zweierverkehr.
Denn es ist nicht immer auf den gleichen Menschen gerichtet, so sehr wir uns das auch wünschen. Es ist dein Begehren für den fest vergebenen Kumpel, dass, sobald aus den Träumen vorgedrungen, von deinem wachen Ich schnell umstellt wird: Keine Bewegung oder ich schieße!

Ein Dilemma. Nun doch die Schulden Schulden sein lassen? Liebe Leser, lasst mich euch verführen, indem ich berichte, was zu gewinnen wäre und warum es der Mühe wert ist.

Nimm dir dein Begehren, am helllichten Tag, betrachte es, wiege es erst in der rechten Hand, dann in der linken, erfreue dich daran du, du verruchtes Stück und du, du notgeiler Casanova ja, ihr alle seid gemeint!
Ich ermuntere euch, geht noch einen Schritt weiter, holt das Begehren nochmals hervor, mischt es mit eurer Fantasie, erzählt davon, schreibt davon, hier mein Vorschlag zur Verführung des guten Kumpels:

Du kamst an diesem Abend spät auf die Feier, wie immer allein, ohne deine Freundin. Ich – war aufgeregt, die feste Umarmung wie immer, ebenso die verschämten Berührungen der keusch verpackten Zehen in den Halbschuhen. Ja, wie immer schon. Vermesse ich die Zeit, geht das jetzt fünf oder sechs Jahre so.
Am nächsten Morgen schließe die Lider vor dem endgültigen Aufwachen erneut und spinne mich ein in dieses kleines Szenario, in dem ich nach dem Feier auf dich zukomme, mich dir spielerisch nähere, mit weinbefunkeltem Blick, der dir schon lange so gut gefällt. Ich setze mich auf deinen Schoss, Brust an Brust, und warte ab. Dabei bewegt sich meine Hüfte in winzig kleinen Kreisen und ich halte deinen Blick fest.

Nein, dein erstarrter Körper ist kein Einwand und dein rasender Puls auch kein Nein. Ich improvisiere mit dem Geschirrtuch in meiner Hand, fahre über deine Hände, die nun auf meinen Schenkeln liegen. Ein raues, nicht fein gewebtes Baumwolltuch. Doch es schenkt dir eine Gänsehaut, ich muss grinsen, du auch, herrlich.

Das Tuch fährt bis zu deinen Schultern, nimmt den Abzweig hin zu deinem Nacken, ich reibe am Haaransatz etwas fester, so würde es mir gefallen und ich hoffe, dir nun auch. Bevor es Zeit wird, jedwede Einwände durch tastende Lippen und geschlossene Augen zu entkräften, reibt meine unbeschäftigte linke Hand sacht an deinem Ohrläppchen, nutze ich das bisschen Fingernägel, für leichten Druck vom Ohr den Hals hinunter, hinterlasse kleine rote Striemen.
Deine Hände finden ihren Weg unter mein Kleid, sachlich gierig, denn du hast bisher mit dem Wein nicht gespart.
Auch Hintern, Bauch und Rücken profitieren von deiner Geilheit, bekommen ihre Behandlung ab, unkoordiniert zwar, doch ich bin da nicht so streng und im Übrigen auch nicht mehr so bedacht darauf, dir in gekonnten Abläufen Shirt und Hose auszuziehen, Hauptsache, sie kommen aus und du, du lässt mich jetzt einfach mal machen, denn in meiner Fantasie, werden wir es gleich auf der Küchenablage treiben und davon wirst auch du profitieren, da bin ich mir sicher.
Jetzt nicht nachdenken, ich will dich berühren, befummeln, beißen, dich schmecken, weil ich es so will und jetzt, in meinem Kopf, alles auch sein darf, meine Hände tun ihr Werk und eine Woge schwappt mich in den Morgen.

Liebe Leser, beschuldigt jetzt nicht mich der Anstiftung zum Fremdverkehr. Ich erinnere euch daran: Ihr ward es, die die Schulden gemacht haben. Jetzt drückt und zwickt der Schuh und ihr müsst anfangen, mit euch zu leben.
Wem meine Vorschläge gar nicht zusagen, na bitte, hier eine Variante: Beantragt euch eine Bad Bank aus drögem Porno, kuscheligen DVD-Abenden auf der Couch, heimlichen Surfen auf verführerischen Fremdgeh-Profilen. Wir alle wissen: Bad Banks stabilisieren das System in der Krise. Also bucht sie doch auf den Schrottplatz der giftigen Wertpapiere, da kann sie euch nichts mehr anhaben, eure ganz eigene, verspielte, verhärmte Sinnlichkeit.
Liebe Leser, nun ist es an euch.

Gute Geschichten? Für LuRa. mise-en-scène sind das erotische Geschichten. Für die Inszenierung ihres Theaterstücks „La Narradora oder das Laster der Worte“ haben sie eine Crowdfundingkampagne auf Visionbakery gestartet. Helft ihnen dabei, das Stück über die Schönheit von Lust & Rausch auf die Beine zu stellen, denn ähnlich wie bei wunderschöner Lingerie kommt es ihnen nicht darauf an, das Nackte zu präsentieren, sondern sie lieben das Durchsichtige, das ahnungsvoll Geraffte. Die Erotik als Potpourri, in dem auch Lupenrein & Radikal darüber nachgedacht wird, in was für einer Welt wir leben wollen. Beziehungen diktiert vom täglichen Tauschkurs an den Singlebörsen? Zuletzt steckt hinter LuRa noch Lustig & Ranzig. Befreiendes Lachen über die schönste Sache der Welt – uns selbst nicht zu ernst nehmen und das Augenzwinkern nie vergessen. Als Gegenleistungen erwarten euch eine exklusiv designte LuRa-Schlüppi Kollektion, Bücher über den schönsten wie schlechtesten Sex der Welt oder ein erotisches Fotoshooting.

Crowdfunding! Hier! Los jetzt!

Headerphoto (c) Aaron Tsuru tsurufoto.com

Textphoto und Text: LuRa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

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