Aber ohne ist doch viel schöner

In meiner Timeline geht gerade ein Post viral, in dem die sechsfache Mutter Gabrielle Blair polemisch und sehr lustig auf den Punkt bringt, warum Männer an 100% aller ungewollten Schwangerschaften schuld sind.

(Kompletter Thread hier auf Twitter)

Auch ich habe diesen Post geteilt, obwohl nicht alle der medizinischen Informationen, mit denen sie argumentiert, korrekt sind: längst nicht alle Vasektomien sind reversibel. Die Zeitspanne pro Monat, in der Frauen theoretisch schwanger werden können, liegt eher bei sieben Tagen als bei zwei. Und sie ist längst nicht so easy kalkulier- und vorhersagbar, wie unsere hippe Zyklus-App uns das glauben lassen möchte. Coitus Interruptus ist mit einem Pearl Index von 27 (dh 27 von 100 Frauen werden mit dieser “Verhütungsmethode” innerhalb eines Jahres schwanger) echt keine supertolle Idee. Und unter dem Post auf der Facebookseite von Lvstprinzip entbrannte eine wilde Diskussion um den Lusttropfen, und ob er denn auch schon schwanger machen könne oder nicht, die eine Leserin knochentrocken wie folgt beendete:

Mein Lusttropfen fährt grad mit dem Playmobilbagger durchs Wohnzimmer. Und es hat nicht mal lange gebraucht. Vielleicht der erste oder zweite “Versuch”? Dass der Lusttropfen nur sehr unwahrscheinlich zur Befruchtung führt, kann mir keiner erzählen.

Schluck. So weit, so gut, so Urban Myth Debunked. Ich bin trotzdem dafür, den Post weiter zu teilen und zu diskutieren. Der Grund dafür heißt “Aber ohne ist doch viel schöner” und lag schon so oft neben mir im Bett, dass ich aufgehört habe, zu zählen. Und nicht nur ich. Sondern wirklich exakt jede Frau, die ich kenne, die in den vergangenen 15 Jahren mehr als anderthalb Sexualpartner*innen hatte: Kondomdiskutierer*innen. Die unsexiesten Menschen auf diesem Planeten.

“Mit spür ich halt nicht so viel” “Ja sorry aber so kann ich nicht kommen” “Das kannst du mir nicht erzählen, dass du den Unterschied da nicht merkst” “Sorry aber für mich fühlt sich das voll eingezwängt an” “Vielleicht ist mein Penis halt einfach zu groß” “Du hast ja keine Ahnung wie scheiße das ist, wenn man beschnitten ist” – das Tal der Tränen, dass sich offenbart, wenn man auf Gesundheit, sexuelle Selbstbestimmung und das Recht an der Unversehrtheit des eigenen Körpers besteht, ist echt tief. I feel you, Brudi. Echt mal. Natürlich spüre auch ich die 0,045 mm Latex zwischen uns. Und wisst ihr was? Sie geben mir ein verdammt gutes Gefühl.

Here´s why:

  1. Wir lernen uns gerade erst kennen. Egal ob das hier ein Hookup wird, oder was Längerfristiges: Sex ist manchmal sehr viel aufschlussreicher, als sich stundenlang in einer Bar in die Augen zu starren und über Aszendenten zu reden. Wenn ich wissen will wie du tickst, kann ich das so nicht beurteilen. Muss ich nackt sehen.
  2. Ich kenne deine komplette Sexualhistorie noch nicht. Die interessiert mich im Moment auch noch nicht und dich geht gerade auch meine noch wirklich nichts an. Mich interessiert, wie du küsst, wie sich deine Hand an meiner Hüfte anfühlt, und ob du mir zwischendurch ein Glas Wasser holst. Ob das hier Sex wird, der sich nur eine Nacht gut anfühlt, oder auch noch drei Tage, Wochen, Monate, Jahre später. Egal was draus wird oder nicht.
  3. Ich hab die Pille abgesetzt und würde nie, hört du, NIE wieder im Leben hormonell verhüten. Ich will grad kein Kind, und vor allem keins mit dir. Ja, Frauen ab 30 wird gerne mal vorgeworfen, sie würden jeden Typen sofort auf seine Daddy-Tauglichkeit abchecken. Glaub mir, das Gegenteil ist der Fall: wir denken uns eher “mit dir Fuckboy sicher nicht”.

Kondome sind so was wie der Gästepantoffel der Hookup-Kultur. Ich kenn dich noch nicht sehr gut, vögeln wir halt erst mal, lass deinen Dreck aber bitte draußen. Wo bleibt denn da die Romantik, fragt ihr euch? Das IST Romantik. Ich hatte mal einen One Night Stand, der sich mit einer Hand ohne hinzusehen das Kondom überziehen konnte (hab natürlich hingesehen. Saß richtig). Ich war sofort absolut hin und weg und hätte ihn wahrscheinlich noch in dieser Nacht geheiratet. Diese absolute Selbstverständlichkeit und Gelassenheit, das Vertrauen in den eigenen Körper, diese Souveränität:  das! ist! sowas von! hot! Nichts gibt einem als Frau so ein gutes Gefühl wie dieses “No worries Baby, I got this”. Das ist erwachsen. Da will man sich fallen lassen und viele entspannte Orgasmen haben.

Unfassbar traurig eigentlich gleichzeitig, wie selten diese rühmliche Ausnahme in einem Meer aus MIMIMI ist. Und wenn man der Viralität dieses Posts und meinem angepissten Freundinnenkreis glauben schenkt, liegt das nicht nur an meinem Händchen für Männer.

Genau, genau das. Aber ja auch längst nicht nur: Männer, die auf Kondome verzichten wollen, gefährden ja nicht nur ihre Sexualpartnerin und ihre eigene Familienplanung, sondern ja immer auch sich selbst. HIV sieht man niemandem an, Chlamydien und Genitalherpes auch nicht. Ja eh klar, das waren alles saubere Mädels. Nee, mit “auf sich achten” sind nicht deine ekligen Eiweißshakes gemeint, und dass du fünf Mal die Woche pumpen gehst und das dann auf Instagram postest.

Auf sich zu achten heißt eher, dass man möglichst versucht, sich keine ansteckenden Krankheiten einzufangen und die Person mit der man Körperöffnungen ineinander steckt, eben auch nicht unnötig zu gefährden.

Für mich klingt das alles doch relativ simpel und einleuchtend. So als gäbe es da jetzt nicht nur wirklich keine besonders guten Gegenargumente, sondern auch einfach tatsächlich rein gar nichts zu besprechen. Und fühle mich trotzdem oft einfach wie eine Mutti, die ihrem Kleinkind jetzt beibringen muss, warum man sich die Zähne putzt. Aber aber aber es gibt auch echt viele Mädels die sagen dass ohne geiler ist! Ja. Fick einfach nicht mit denen. Zumindest nicht ohne Gummi.

Zum selben Grad, wie ich männliche Erektionen beim Anblick eines Kondoms schwinden sehe, schwindet meine mentale, wenn ich dieses Gespräch führen muss. Noch mal zum Mitschreiben: Ich kenn dich nicht und ich will kein Kind von dir. Und von jemandem, der sich derart aufführt, werde ich auch nie ein Kind wollen. Gene von verantwortungslosen Jammerlappen weiterzugeben steht nämlich grad nicht besonders weit oben auf meiner Bucket List, und ich glaube, daran wird auch meine biologische Uhr nicht viel ändern.

Und noch was: nicht zu verhüten, wenn man sich nocht nicht kennt, ist einfach mal eklig. Darüber diskutier ich nicht. Und es ist mir echt egal, was die pseudomedizinische Indikation für deine Kondomphobie ist.

Fakt ist nämlich: deine schlagartige Flaute ist höchstwahrscheinlich selbst induziert und rein psychisch bedingt. Ja, man kann sich taub wichsen. Aber, Neuroplastizität und so: Nervenenden kann man trainieren. Sich so lang mit Gummi einen runterholen, bis sich dein armer armer hochsensibler Penis daran gewöhnt hat. Das Überziehen so lange üben, bis es kein erbärmliches peinliches Rumgefummel mehr ist, sondern ein selbstverständlicher, smoother Handgriff nebenbei. Ja, auch in deiner Größe gibt´s Kondome, sogar maßangefertigte inzwischen. Und supermoderne extradünne. Und genoppte. Und vegane. Und bestimmt auch welche mit deinen Initialien, wenn du dich damit dann besser fühlst. Mir alles recht, so lang dieses scheiß Gejammer endlich mal aufhört.

Klar, an diesem Punkt wird Frau Blair etwas drastisch. Ich hätte da einen konstruktiveren Vorschlag.

Lasst uns Sex ohne Kondom einfach wieder als das sehen, was es ist. Einen sehr exklusiven, sehr intimen Beziehungs-Treat. Über den man nach ein paar Monaten, Jahren aufgebautem Vertrauen und ausgiebigen STD-Tests vielleicht mal reden kann. Wenn man die andere Person so gerne mag, dass man bereit ist, sich für sie mit Hormonen oder Metallteilen vollstopfen zu lassen, oder eben den Gedanken daran, sich die nächsten 15 Jahre darüber zu streiten, wer mit dem Pausenbrot schmieren oder Kotze wegputzen dran ist, nicht komplett schauderhaft findet.

Ich persönlich bin großer Fan des Polygamisten-Ausdrucks Fluid Bonded. Ja, dann, und genau auch nur dann, ist OHNE auch für mich schöner. Und das liegt wahrscheinlich weniger an 0,045 mm Latex zwischen uns, sondern an allem anderen, das uns verbindet. Gleiche Werte, zum Beispiel. Gerade bei den Themen sexuelle Selbstbestimmung, Verantwortung, Gesundheit und Zukunftsplanung.

Bis dahin: Habt bitte einfach Sex mit Kondom. Sorgt mit dafür, dass die Dummheit ausstirbt.

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

Theresa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

2 Kommentare

  • Antworten September 19, 2018

    Thomas

    Gut geschrieben. Vor allem, dass man mit einem Kondom auch den Anderen und nicht nur sich selbst schützt ist schon alleine für sich ausreichend als Argument.

    Ich bin in meiner zweiten langjährigen Beziehung und habe mit beiden Partnerinnen am Anfang Kondome benutzt und dann Coitus Interruptus.
    Komme auf 30 Jahre Coitus Interruptus mit zwei Pausen (ergibt zwei geplante Kinder). Die Sicherheit ist besser ist wie mit Kondomen. Voraussetzung ist, dass der Mann wirklich “aufpasst” und z.B.: unter Alkoholeinfluss nicht bis zum “letzten Moment” wartet.

    Zu Kondomem: Diese schützen z.B.: ziemlich gut vor HIV (was wiederrum als einzelnes Argument ausreichend wäre). Chlamydien zum Beispiel können auch beim Verwenden von Kondomen übertragen werden. Da gibt es genügend Möglichkeiten. Da fühlt man sich mit Kondomem sicher und ist es nicht.

    Wer gerne und spontan mit abwechselnden Partnern Sex hat sollte sich regelmäßig beim Frauenarzt oder Urologen checken lassen. Man will sowas ja nicht unbemerkt mit sich rumtragen und eventuell andere anstecken.

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