Agenda: Kontrollverlust – ein Text von Pascal

Oh Boy, wie die Zeiten sich ändern. Seit Pascals wunderbarem ersten Text auf Lvstprinzip “Pornosüchtig oder was?”  ist viel passiert: er hat den Ratgeber “Unfuck your world” geschrieben und den Sexperimente Podcast Rein&Raus gegründet. Zu einem ganz besonderen Experiment nimmt er uns heute mit.

 

Nubi

Ob ich Titten oder Schwänze mehr mag? Eigentlich kommen in dieser Gleichung ja eher Ärsche vor. Heute ist es aber anders. Der brave Sozialbürger in mir braucht nicht lange für die gesellschaftsnormative Antwort: Titten. „Falsche Antwort“. Ich hab’s ja so bestellt. Titten gibt es auch – aber später. Denn jetzt ist erst der Schwanz dran. Auf dem Menü stand „leicht dominant“. Mein blödes Dopaminsystem ist voll drauf rein gefallen. Agenda: Kontrollverlust. Und ich bin mitten drin.

Mir rasen wilde Gedanken durch den Körper. Mein Herzschlag ist auf Formel 1. Ist sie jetzt ein Mann mit Brüsten? Frau mit Penis? Ein Cocktail aus Testosteron und Östrogen? Was zur Hölle mache ich hier? Die 10 Minuten vor der Konfrontation meiner Fantasie sind überreizter als jede Achterbahnfahrt. Nervös und aufgegeilt wackelt meine Nadel auf Anschlag. Fight or flight. Or fuck? Irgendwie alle drei. Nervös streune ich durch die Straße des Tatorts. Ich fühle mich wie ein 14-jähriger beim Kondome kaufen. Schuldig und rattig. Ich dachte ja, ich hätte schon alles erlebt. So richtig aus der Komfortzone? Was gibt es da schon außer Fallschirmsprung und Bungee Jumping? Spannend ist nur, was außerhalb des bereits Erlebten liegt. Und gleichzeitig ist es angstbesetzt. Beim Sex allemal. Denn nackt, das sind wir da nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Was, wenn meine Sexualität, mein Selbstausdruck, von Erziehung, Gesellschaft und Kultur gedeckelt sind? Was, wenn mein sexueller Fallschirmsprung immer nur ohne den freien Fall stattfindet? Was, wenn die größte Befriedigung die Überwindung meiner Angst bedingt?

Seitdem mir nach meinem „Porno Reboot“ alte Fantasien begegnen, muss ich sie erleben. Vertrag mit mir selbst. Verdammt. Wie kann es sein, dass mein Gehirn Dinge aufgeilen, die ich mich im alltäglichen Leben nie trauen würde? Das fängt bei der großbusigen Busfahrerin an und geht bis zu Vergewaltigungsszenen mit harten Dominas. Nicht zu vergessen die gesteigerte Lust durch die Kombination mit Adrenalin: Homophobie, die Angst vor Gleichem. Archetypen ungelebter Lust.

Aufgedrehte Lust ohne Ventil finden wir heute überall. Jede Wäschewerbung ist grundsätzlich ein sexuelles Symbol, das uns unterbewusst stimuliert. Jeder Bonobo würde diesen Impuls ausagieren. Nur wir laufen im Karohemd weiter, als wäre nichts gewesen.

Von Schlafanzug bis zum Verbot des Steckenpferd: die vergangenen drei Jahrhunderte der Vernunft haben den sexuell Selbstausdruck verstopft. Der Diskurs an der Oberfläche schürt die Unsicherheit im Untergrund.

Foucault hatte recht: das, was ich Sexualität nenne, ist durch meine Umgebung diktierte Grauzone aus Scham und Schuld. Was wirklich zu meiner sexuellen Stilbildung gehört, habe ich nie hinterfragt. Sexualität. Ein Begriff, wissenschaftlich seziert, und jetzt der Haufen Porzellan, den ich mir selbst zusammen kleben muss. Ob da jemals eine schönes Vase draus wird… Der Befreiungsschlag? Die Exploration der Grenzgebiete.

“Tolerating life is like being fucked and never fuck back.” Heute ficke ich zurück.

An der Tür bin ich fast schon erleichtert. Wow, eine Hammer Frau steht vor mir. Schlank, hübsches Gesicht, geiler Body. BH, Höschen, Netzhemd. Ich habe ja noch nie zuvor für Sex bezahlt. Aber es gibt Bereiche, in denen es mir fast unmöglich erscheint, diesen Test meiner Erregung neutral durchzuführen. Da kommt es mir gerade unrecht, dass ich mit meinem Abstecher in die Welt der Pornos in Grenzgebieten unterwegs war, die mich zwar geil gemacht haben, aber aus heutiger Sicht ungeprüft im Keller liegen.

Heute ist Tag der Prüfung. Wann gehört eigentlich ein Fetisch zu mir? Im Kopf geil = im Leben geil? Was, wenn meine Fantasie nur ein Produkt rasender Lust in meinem Kopf ist, die mich im echten Leben nie befriedigen würde? Das sind die dunklen Schattengebiete der Sexualität. Wenn bei Pornhub das Keyword „Anal“ der ewige Spitzenreiter und „Trans“ der Newcomer der letzten Jahre ist, muss etwas geiles an dieser Kombination sein. Beim Analsex könnte mir ja grundsätzlich egal sein, ob eine Frau oder ein Mann am Arsch dran hängt. Leichter gesagt als getan. Das macht die Kombination so reizvoll: Eine „echte“ Frau mit dem männlichen Symbol der Sexualität zwischen den Beinen. Der perfekte Deckmantel der sexuellen Erlebnisreise. Als „Nubi“ in Unterwäsche über mir tänzelt, kennt meine Erregung keine Grenzen mehr.

Das Bett ist mit zig Handtüchern ausgelegt. POV: Zewa, ein Häufchen Kondome, meine drei großen Zehen. Deckenventilator, vom Propeller verdeckt. Die Begegnung nagelt mich ans Bett. Jeder Blick durch die Lücken im prallen String wird zur spannenden Szene durch das Schlüsselloch. Fuck, ich habe ein echtes Erlebnis. Außerhalb des Gewöhnlichen. Wirkliches Neuland. Wie die Erlaubnis zur Freiheit, wie die Ernsthaftigkeit von Kindern beim Spielen. Ich taste mich durch die Dunkelheit meiner Schattengebiete. Es fühlt sich an wie das Überkommen der Blockade, wenn ich anfasse, was eigentlich nur meine Fantasie festhält. Mit jeder Überwindung der Scham setzt ein Gefühl von Befreiung ein.

Als Sexualwesen Mensch sind wir Jungs von Geburt an begeistert vom Piephahn, der an uns hängt. Egal ob anale Phase oder pubertäre Autoerotik. Sexuelle Symbole der Männlichkeit sind magisch – vom Porsche bis zum Phallus. Jeder Mann würde behaupten, dass nur er sich selbst den perfekten Blowjob geben könnte. Aber natürlich nicht schwul ist. Und niemals sein Sperma probieren würde. Weil die meisten ihren Mund niemals zwischen die Beine bekommen, bleibt diese Neugier vom vollendeten Saugreflex in den meisten Fällen für immer ungestillt. Heute sauge ich, als wäre es die erste Zitze. Kann man schlechtes Karma schlucken?

Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war; da schied Gott das Licht von der Finsternis. Nach einer Stunde mit Nubi war mein Schatten gelichtet. Ich lande beglückt zurück in der Realität. Wow. Das war krass. Aus dem Schatten ins Licht geholt ist meine geheime Neugierde transformiert. Wo mich diese Fantasie vorher verunsichert hat, ist sie jetzt einfach nicht mehr da, weil ins Leben integriert. Ich bin erleichtert und erregt über die neuen Möglichkeiten meiner Sexualität.

So funktioniert also meine ganz eigene Sexualtherapie. Das fantasierte Gefühl beim Porno ist das Wechselspiel vom Gefühl an meinem Schwanz und der antizipierten Erregung des Gegenübers. Meine Empathie für das Erleben einer Darstellerin macht meine Geilheit beim Porno aus. Dadurch entsteht erst die Fantasie vom Erlebnis: Wie ist es wohl, wie sie gefickt zu werden? Das Antidot? Die Konfrontation der Fantasie.

Finger im Po, Mexiko. Die meisten Männer – falls sie es jemals probieren – finden in der Prostata den heiligen Gral der Erregung. Diesen Sex zu erleben, ist eine echte Referenz für die Befreiung des Selbstausdrucks. Und weil so selten erlebt, für viele wahrscheinlich für immer ein Bereich, der die Fantasien begleitet und das Erleben überschattet.

Mit dem gleichen Geschlecht zu schlafen, heißt, die Erregung des Gegenübers zu kennen und umgekehrt. Aber zählt das jetzt als gleiches Geschlecht? Mir eigentlich egal. Sexuelles Potential ist eine Bandbreite. Keine digitale Anzeige von null oder eins.

Jede sexuelle Stilbildung entfernt mich ein Stück vom echten Erleben von Sexualität, die nicht an Geschlechter gebunden ist. Jedes Skript, wie Sexualität funktionieren soll, ist eine Zwangsjacke für den Selbstausdruck. Ich habe eine Fantasie, die mich mehr erregt, als jedes meiner aktuellen Skripte. Die Diskrepanz kratzt an mir. Will ich unbefriedigt sterben? Was mir das Erlebnis mit Nubi gezeigt hat, ist, dass mein sexuelles Skript nur ein Konstrukt in meinem Kopf ist. Die standardisierte Soap Opera des Normalen, ein verstaubtes Relikt der letzten Jahrhunderte. Mit Ideologien verkrusteter Selbstausdruck. Irrationale Ängste, die uns ungeprüft im Weg stehen. Wenn die meisten Menschen ein Leben in stiller Verzweiflung leben, leben sie sicher auch eine Sexualitat in stillem Widerstand. Wollen, aber nicht können. Dabei ist es eigentlich leicht, die kulturellen Muster des Otto Normalusers zu konfrontieren, um unser domestiziertes Sexualverhalten zu hinterfragen.

Ob ich Angst davor habe? Ein bisschen. Den Arsch offen!? Geht schon wieder. Alles besser als die Alternative: verkrampft den Arsch zusammen kneifen und Energie für den Widerstand verschwenden. Da kann ich den Weg auch gleich vorwärts gehen. Die Fantasie ist der Wunsch. Die Angst ist der Weg.

Text: Pascal

 

Gemeinsam verlosen wir 3 Exemplare von “Unfuck your world – Weg von Pornos, rein ins Porno Leben” mit persönlicher Widmung des Autors. Verrate uns einfach bis 15. August um in den Kommentaren, welche Phantasie du noch ausleben musst. Teilnahmeberechtigt sind alle aus Deutschland ab 18 Jahren, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

Theresa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

6 Kommentare

  • Antworten August 11, 2019

    Astrid

    Sex im Cabrio

  • Antworten August 11, 2019

    Nati

    Der Klassiker. ich hatte noch nie einen Dreier. Hab mich noch nicht auf eine eindeutige Konstellation festgelegt und ein Casting gestartet, vielleicht ergibt sich das ja auch eher spontan..
    Eine großartige Fantasie habe ich auch noch auf Lager: ich würde gerne mal nach wundervollem leidenschaftlichem oder zumindest irgendwie gutem Sex morgens neben dem Gespielen aufwachen und dann lecker frühstücken (nicht im Bett, woanders: Terrasse ideal, aber kein Muss), um dann einfach wieder ins Bett zu gehen, später gibts dann Pizza oderso vom Lieferservice und so auf diese Art ein ganzes Wochenende zu verbringen.. gerne auch daheim und nicht in Paris (zu überschätzt und die fremde Sprache).
    Komme mir gerade ja so richtig lame vor.. dämliche Romantikerin.

  • Antworten August 12, 2019

    Laura

    Verrücktes Erlebnis und Respekt vor dem Mut den bewussten Schritt in dieses Abenteuer gewagt zu haben!

    Mein Wunsch: Intensiven Sex in der Natur, unter freiem Himmel (Wald, Garten, Badesee,…). Weg vom Quickie, hin zum Genuss.

  • Antworten August 12, 2019

    Laura

    Verrücktes Erlebnis und Respekt vor dem Mut den bewussten Schritt in dieses Abenteuer gewagt zu haben!

    Mein Wunsch: Intensiven Sex in der Natur, unter freiem Himmel (Wald, Garten, Badesee,…). Weg vom Quickie, hin zum Genuss.

  • Antworten August 12, 2019

    Chrischi

    Ich denke vielen schwirrt ebenfalls pegging durch den Kopf. Es ist eine schöne Vorstellung einfach mal in einer Beziehung (ich beziehe mich hier auf Frau und Mann in der klassischen Rolle) die Rollen zu tauschen und das auf der ganzen Ebene. Wir tasten uns zwar immer näher ran, haben das auf der to-do-Liste, aber es fehlen noch ein paar Stufen zum Ziel. Ich persönlich freue mich schon etwas länger drauf, aber es müssen beide wollen ohne Druck dahinter zu spüren. Aber durch den o.g. Text hinterfragt man seine Fantasien und öffnet einem etwas mehr die Augen. Klasse geschrieben, danke

  • Antworten August 12, 2019

    Nils

    Oh…Phantasien habe ich viele. Liebevolle, dominante, extreme und solche, die meine Flexibilität bis ins äußerste fordern :)
    Ein MUSS ist dabei keine von diesen, ein SUPER GERNE ERLEBEN fühlt sich richtiger an.
    Eine meiner sehr intensiven Phantasien, die ich dem Intro aus AHS entnommen und für mich individualisiert habe, ist ein Zusammentreffen von Körpern, die sich in ihrer Urgewalt finden. Gemeinsam intensivieren sich diese Körper miteinander, während sich unter ihnen ein Pool von Blut ausbreitet (darf auch lebensmittelgefärbte Flüssigkeit sein). Durch dieses komplett rohe und urnatürliche Setting steigern wir uns immer mehr in Ekstase, bis aus unserem gemeinsamen Liebesspiel ein switch des gefühlvollen Erlebens hin zu dominantem und submissivem Rollenspiel entsteht, welches von jedem einmal aus beiden Sichten erlebt wird.

    Ganz lieben Gruß aus einer sehr tiefen und sehr transparenten Ecke meines Herzens :*

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