Fi(c)ktionalität – erotische Texte für besseren Sex. Ein Gastbeitrag von Natalie Rabengut

„Lies die Rabengut, das ist wahrscheinlich die einzige Erotikautorin in Deutschland, die wirklich weiß, was sie da tut“, riet mir vor einiger Zeit eine liebe Freundin, die Kulturchefin ist und von Berufs wegen wirklich sehr, sehr viele Bücher liest.

Jeder sollte eine Kulturchefin zur Freundin haben, denn die die sagen immer die Wahrheit – oder vielleicht ist das auch nur meine?

Anyways. Natalie Rabengut ist wirklich eine der Besten (und Erfolgreichsten) ihres Fachs: ihre erotischen Liebesromane, mal mehr Chick Lit, mal etwas mehr SM verkaufen sich sowohl als Ebook als auch gedruckt wie geschnitten Brot, und ihr Output – rund 16 Romane und „viel zu viele Kurzgeschichten“ – erinnert mich zwischendurch  dann doch kurz mal unangenehm daran, dass ich letzte Woche ja eigentlich auch mal wieder bloggen wollte, und dann bei 38 Grad irgendwie doch lieber nacktbaden gegangen bin.

Heißt halt doch mal Lvstprinzip und nicht Disziplinprinzip, das ganze hier – aber zum Glück schreibe ich anscheinend dann doch noch oft genug, dass es auch Frau Rabengut aufgefallen ist, denn sie schrieb mich an, ob sie mal bei mir einen Gastartikel veröffentlichen dürfte.

HALLO? OH MEIN GOTT! Tu alles was du willst, es wäre mir eine Ehre! schrieb ich zurück und sie so: Oh Gott du kennst mich? Oh ist das cool! und ich schrieb sofort der Kulturchefin und sie freute sich mit und wir freuten uns alle drei auf einmal ganz riesig, dass wir uns gegenseitig kennen und cool finden. Mensch. Ganz große Fangirlmomente hier! Und bevor ich jetzt hier vor lauter Aufregung noch zu weinen anfange und meinen BH auf die Bühne werfe: everyone, meet Natalie Rabengut!

N. Rabengut Jul14 kleine Version

FI(C)KTIONALITÄT – EROTISCHE TEXTE FÜR BESSEREN SEX

Letztens habe ich auf Facebook gepostet, dass bitte jemand meinen Browserverlauf löschen soll, falls ich unerwartet sterbe. Ich schreibe erotische Liebesromane für Frauen, neuerdings auch erotische Thriller – und manchmal recherchiere ich einfach zu enthusiastisch.

Vieles kann ich nicht gebrauchen, aber es interessiert mich nun einmal ungemein, was sich andere Leute zum Thema Sex so ausdenken.

Das Faszinierende ist, dass der gemeine Nicht-Schriftsteller sich gar nicht vorstellen kann, wie viel beim Schreiben von Sexszenen meiner Fantasie entspringt. Ganz oben unter den schmierigen Fragen der Internetuser: »Das hast du doch bestimmt schon alles selbst erlebt, oder?« Wenn ich die Frage schon lese, sehe ich kümmerliche Erektionen in Ballonseidenhosen vor mir – die aus den 90ern in Türkis, Lila und blassem Gelb. Bäh.

Natürlich gibt es dann auch etwas geschicktere Leute, die solche Fragen eleganter verpacken: »Welche deiner Figuren entspricht dir am ehesten?« Na ja, keine. Irgendwie schon, aber als ich das letzte Mal in einem Interview beispielhaft eine Figur anführte, die ich zufällig für eine BDSM-Geschichte erfunden habe, landete prompt eine Einladung zum städtischen BDSM-Stammtisch in meinem virtuellen Briefkasten.

Ich schreibe Erotik, also muss ich ein heißer Feger sein. Klar. Natürlich habe ich in der Realität auch nicht Schuhgröße 42 1/2, nein nein. Meine Füße sind klein und wunderbar zierlich, und niemand würde an Godzilla denken, wenn er sie sieht. Überhaupt bin ich so sexy, dass es unmöglich ist, in meiner Gegenwart einen klaren Gedanken zu fassen. Ich schreibe Erotik, ich bin wandelnder Sex auf zwei Beinen – die im Vergleich zu meinen riesigen Füßen übrigens bedauerlich kurz sind.

Wenn ich Sexszenen schreibe, gehe ich immer gleich vor: Ich ziehe mir schwarze Spitzenunterwäsche, Netzstrümpfe und die 475-Euro-Louboutins (superfeminine Größe 37) an, die ich mir von meinem ersten Gehalt als Schriftstellerin gekauft habe. Ich esse und trinke nicht, um den teuren, roten Lippenstift von Chanel nicht zu ruinieren, und tippe flink mit langen Fingernägeln vor mich hin. Im Hintergrund läuft Smooth Jazz und vorher habe ich ca. 45 Pornos geguckt und selbst jede Menge atemberaubenden Sex gehabt, um mich in die richtige Stimmung zu bringen.

Oft habe ich ich mich schon gewundert, ob Autoren, die Horror und richtig blutige Thriller mit Folterszenen schreiben, auch regelmäßig gefragt werden, wie diesbezüglich ihre persönliche Erfahrungen sind. Wie viel Quadratmeter extra-reißfeste Malerplane braucht man wohl, um einen durchschnittlichen Mann einzuwickeln, nachdem man ihn umgebracht hat? Immerhin muss ich scheinbar ja auch wissen, wie viele Sexpositionen es im Kamasutra gibt, welche Art der Prostata- Massage die beste ist und wie groß ein Einsteiger-Buttplug sein sollte.

Vor ein paar Monaten habe ich ein Seminar zu Sexszenen in erotischer Literatur besucht. Es war ein offenes Seminar, es waren Autorinnen und Leserinnen da. Vereinzelt habe ich auch ein paar Männer erspäht, aber zu 99,7 Prozent waren die Besucherinnen weiblich. Die Referentin referierte fröhlich vor sich hin, als eine junge Frau die Hand hob und vollkommen verschüchtert eine Frage stellte, die mir aus diversen Gründen den beschissenen schmeckenden Kaffee wieder zur Nase hinaustrieb.

Zum Ende hin wurde ihre Stimme immer leiser, aber ich saß nah genug dran, um sie trotzdem zu verstehen: »Warum haben die Figuren in den Büchern eigentlich immer so tollen Sex? Ich meine, das ist in der Realität auch nie so.«

Ich wurde prompt daran erinnert, wie ich kurz nach dem Studium bei meiner Frauenärztin war und die niedliche blonde Frau mit dem niedlichen Bob und dem niedlichen rosafarbenen Poloshirt fragte: »Ach ja, was machen Sie denn jetzt nach dem Studium?« Damals musste ich noch meinen ganzen Mut zusammennehmen und piepste, während ich untenherum nackt war: »Ich schreibe jetzt Erotikromane.« Sie hielt inne und schwieg für einen kurzen Moment. »Das finde ich gut. Das finde ich wirklich gut. Manchmal sitze ich hier in der Sprechstunde und möchte den Libido-geplagten, frustrierten Frauen solche Bücher in die Hand drücken und sagen: Hier, vielleicht hast du dann wieder Lust. Wann haben die Leute nur verlernt, miteinander zu sprechen?«

Die Frage konnte ich ihr nicht beantworten, aber als die junge Frau im Seminar im Grunde implizit nichts anderes sagte als »Bisher hatte ich nur beschissenen Sex«, habe ich mich gewundert, warum ihr das nicht selbst aufgefallen ist – beziehungsweise sie nichts dagegen tut.

Genau das ist das Problem: Erotische Geschichten sind Fiktion – eine idealisierte oder zumindest modifizierte Abbildung der Realität, die der Unterhaltung dient. Die weiblichen Figuren sind in der Regel gut aussehend (oder zumindest passabel) und haben immer glatt rasierte Beine, während die Männer vor lauter Testosteron kaum an sich halten können und nie Konditionsschwierigkeiten haben – oder Stress im Job, der ihnen die Laune verdirbt. Und da fängt das Luxusproblem an: Wenn mein Sexleben irgendwie doof ist, kann ich nicht Zuflucht in Fiktion suchen – sei es in den bewegten Bildchen der Pornofilme, oder in schnulzigen Liebesromanen oder harten SM-Geschichten – und erwarten, dass es davon besser wird.

Ich wünschte mir, mehr Leser/innen würden ihrem/r Partner/in eine ansprechende Sexszene zu lesen/ansehen geben und eine Diskussion anregen und neue Vorlieben erkunden – eben miteinander kommunizieren, wie meine Frauenärztin vorgeschlagen hat.

Stattdessen geraten viele in die Falle, hinterher noch unzufriedener zu sein, weil »das ja alles unrealistisch ist«. Ich finde es allerdings nicht unrealistisch, dass es Männer gibt, für die »Ladies first« selbstverständlich ist – oder Frauen, die gern einen Schwanz im Mund haben. Jedem das Seine, aber bitte nach Absprache. Wenn man nicht unbedingt von Blümchensex mit Vanilleduftkerzen ohne Übergang zu Römischen Duschen wechseln möchte, sollte alleskommunizierbar sein.

Obwohl es knapp auf der Grenze zu »Nein danke« ist, freue ich mich immer, wenn ich E-Mails von Paaren bekomme, die mir schreiben, dass sie meine Bücher zusammen lesen, aber dabei nie weit kommen.

Das ist ein nettes – dennoch irgendwie grenzwertiges – Kompliment, das mir versichert, einen guten Job gemacht zu haben – und das, obwohl ich im Gegensatz zu meinen Figuren noch nie in der Öffentlichkeit Sex hatte oder an sonstigen ungewöhnlichen Orten und mit mehr Menschen, als meiner Meinung nach eigentlich beim Sex dabei zu sein haben.

Das ist das Schöne daran: Fantasie. Und die sollte auch beim Leser/bei der Leserin nach dem Lesen weit genug ausgeprägt oder angeheizt sein, dass man dem Partner/der Partnerin gestehen kann, die Handschellen mit dem lächerlichen pinken Plüsch und den Buttplug mit dem Durchmesser eines kleinen Fingers eben doch völlig unironisch und nicht aus Spaß gekauft zu haben, sondern weil man sie wirklich ausprobieren möchte. Oder dass ein Quickie auf dem Küchentisch eine nette Angelegenheit sein kann und nicht jeder Sex mit einem fulminanten 5-Sterne-Orgasmus enden muss.

Vielleicht sollte man manchmal einfach das Buch/den Laptop zuklappen und machen. Aber vorher fragen. ;)

 

I second that, Frau Rabengut! Für alle Papierfetischisten: Natalies Roman Das erste Date erscheint im Oktober auch als Taschenbuch. Und für alle, die jetzt auch mehr über Sex schreiben wollen: Auf Rabengutschreibt gibt Natalie wirklich handfeste Tips und Insights zum erfolgreichen (Über-)Leben als Erotikautorin.

Text: Natalie Rabengut

Headerphoto by Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

Autorenphoto: Natalie Rabengut /privat

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

3 Kommentare

Leave a Reply