“Grüß deine Frau von mir” – Als dritte Person in einer offenen Ehe

Simon und ich lernten uns vor drei Jahren in einem gänzlich unerotischen Kontext kennen – einer Selbsthilfegruppe. Schon damals fand ich ihn attraktiv, dachte aber nicht weiter darüber nach, weil er in einer langjährigen Beziehung war.

Simon und seine Freundin Julia sind ein tolles Paar, sehr vertraut und entspannt zusammen. Sie sind schon im Teenageralter zusammengekommen. Als ich vor ungefähr zwei Jahren auch Julia kennenlernte, hatten die beiden gerade geheiratet. Simon ist ein Freund für mich geworden, und auch Julia mag ich sehr gerne.

Letzten Herbst nahm unsere Bekanntschaft eine kleine Wendung: Simon eröffnete mir in einer gemütlichen Jazzbar, dass er und Julia beschlossen hätten, ihre Ehe zu öffnen. Und dass er es sich gerade mit mir sehr gut vorstellen könnte, dieses Experiment zu wagen: fremde Haut zu spüren, und zu sehen, wie Sex mit einer anderen so ist.

Akt I: Das Angebot

Ich war damals nicht gerade Feuer und Flamme. Ich sollte das erste „Versuchsobjekt“ in diesem Experiment zweier Menschen sein, die bisher ihr ganzen Leben lang nur sich gekannt, geliebt und gevögelt hatten? Da war das Drama doch vorprogrammiert. Außerdem war ich zu diesem Zeitpunkt selbst in der Anfangsphase einer Beziehung und wollte mich darauf konzentrieren.

Diesen Sommer war es anders. Meine Beziehung existierte nicht mehr. Simon hatte mir begeistert berichtet, dass er und Julia bei einer Party einen ganz entscheidenden Schritt weiter gekommen waren auf ihrer Erkundungsmission. Die Stimmung auf der Party war „flauschiger und flauschiger“ geworden, bis am Ende er,  Julia und mehrere andere Menschen nackt waren und beide erste Erfahrungen im Verwöhnen anderer Körper machen konnten.

Simon war noch völlig geflasht von diesen Ereignissen, die er mir bei einem Spaziergang durch den Park berichtete. Er und Julia hatten anschließend ausführlich geredet und waren sich einig, dass dieses Erlebnis toll und wiederholenswert war. Ich kuschelte mich auf einer Parkbank an ihn und kam zu dem Schluss, dass es vielleicht doch eine Überlegung wert wäre, mich auf Simon und seine Neugier einzulassen.

Wir trafen uns noch einmal zum Reden im weitläufigen Garten der beiden und ich servierte ihm ein Tablett an Fragen: Ist das wirklich OK für Julia? Welche Absprachen zum Thema Sex mit anderen habt ihr getroffen? Er antwortete geduldig, während wir auf einer Gartenschaukel immer näher zusammenrückten. Kein Sex mit anderen in der gemeinsamen Wohnung, und absolute Ehrlichkeit über alles Geschehene gehörten zu den Regeln der beiden. Als potentielle Bettpartnerin für Simon hatte mich Julia schon vor Längerem abgesegnet. Merkwürdiges Gefühl, Gegenstand eines solchen Beziehungsgespräches zu sein…

 

Akt II: Die Überzeugungsphase

Zunehmend wuchs mein Vertrauen in diese Beziehung, von der ich kein Teil war,  für die ich aber zum relevanten Faktor geworden war wie ein Satellit, der einen Planeten umkreist. Das hier waren zwei Menschen, die wirklich offen miteinander kommunizierten, und auch Simon zeigte mir durch sein Verhalten, dass er sich genau an alle Regeln hielt. Auf der besagten Gartenschaukel war uns beiden eigentlich schon nach einem ersten Kuss – da Simon und Julia aber noch nicht darüber gesprochen hatten, ob auch der Garten „sichere Zone“ sein sollte, blieb es bei einem langem Gespräch und viel Knistern zwischen uns beiden.

Ich fragte mich (und Simon) aber auch: Warum sollte ich mich eigentlich auf diese Geschichte einlassen? Mir schwirrten weiterhin verschiedene Schreckensszenarien durch den Kopf: Julia verletzt und enttäuscht, die Beziehung in der Krise, und ich dürfte vielleicht nie wieder zum Essen bei den beiden vorbeischauen. Ich würde gefangen sein in einer chaotischen Situation, und wäre nicht frei im Kopf (oder Körper) für andere Männer, wo ich mir doch eigentlich eine neue Beziehung wünschte.

Oder ich würde mich wie das fünfte Rad am Wagen fühlen in einer Beziehung, die in ihren Grundfesten eben gerade nicht zu erschüttern war. Und meine Rolle wäre dann nur die eines sexuellen Abenteuers – dabei wünsche ich mir doch, wenn ich mit jemandem ins Bett gehe, eigentlich immer auch emotionale Nähe, Interesse an mir als Person, und das Potential für mehr. Der Affärentyp war ich nämlich noch nie – spätestens nach einigen Malen Sex werden meine Gefühle intensiver und ich kann und möchte zwischen körperlicher Nähe und Gefühlen nicht mehr trennen.

Simon vermittelte mir durch unsere Gespräche schon ziemlich viel Sicherheit. Dennoch traf ich für mich einige Tage später die Entscheidung, es zu lassen. Auch wenn ich inzwischen nach der Party-Erfahrung der beiden nicht mehr das allererste Versuchsobjekt sein würde, auch wenn die beiden genau zu wissen schienen, was ihnen wichtig war – ich wollte mich auf neue Menschen konzentrieren, die als Gesamtpaket zur Verfügung standen und auch für eine Beziehung offen waren.

 

Akt III: Das Experiment

Also verabredete ich mich mit Simon, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen. Zuerst sprach er, und berichtete, dass meine Bedenken, zur Ausgestoßenen in der gemeinsamen Wohnung der beiden zu werden, unbegründet waren. Dementsprechend enttäuscht sah er aus, als ich dann mit meiner Entscheidung gegen ein gemeinsames Abenteuer rausrückte. Er akzeptierte es, sagte aber gleichzeitig: „Ich weiß, was ich will. Und zwar dich küssen.“

Da passierte irgendwas in mir und mein Bauchgefühl gewann die Oberhand. „Worauf warte ich eigentlich noch?“ ging es mir durch den Kopf. „Hier sitzt ein Mensch, dem ich vertraue, der mich durch unsere jahrelange Freundschaft auch als komplette Persönlichkeit zu schätzen weiß, und es knistert zwischen uns beiden.“

Ich küsste ihn. Schließlich landeten wir bei mir zu Hause. Offiziell, um erstmal nur zu kuscheln. Innerlich arbeitete ich aber bereits fleißig daran, meinen Kopf in seine Schranken zu weisen, um Platz für mein Bedürfnis nach mehr zu machen. Alles fühlte sich gut an. Wir verloren nach und nach unsere Klamotten und ich genoss es, mich nackt an ihn zu schmiegen. Ein bisschen lustig war es schon, weil wir uns schon so lange kannten, und ursprünglich aus einem ganz anderen Kontext.

Gleichzeitig war es merkwürdig vertraut. Wir entdeckten unsere Körper und waren auf derselben Wellenlänge. Wir erzählten uns gegenseitig, worauf wir Lust hatten, und genossen die lockere Kommunikation miteinander. Unser physisches Miteinander war ganz natürlich und wir hatten viel Spaß. Welche der Dinge, die passierten, er zum ersten Mal tat, wusste ich nicht. Aber ich war positiv überrascht, was für ein guter Liebhaber er war.  Anscheinend ist die typische Tinder-Rumvögelei nicht die einzige Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und die eigenen Vorlieben zu entdecken – auch eine über 10-jährige Beziehung kann ein tolles Experimentierfeld sein. Nur Erlebnisse mit anderen Partnern sind in der monogamen Variante nicht drin – deshalb lagen wir nun hier nackt nebeneinander.  Sein Ehering blieb die ganze Zeit dran. Auch ohne diesen wäre es mir wohl nie ganz aus dem Kopf gegangen, dass ich mich hier gerade mit einem verheirateten Mann vergnügte, dessen Frau ich sehr mag.

Nach dem Sex kuschelten wir noch eine Weile, ehe er sich dann auf den Weg machte. Wie viel wir noch an Worten getauscht haben, weiß ich nicht mehr. Ich war wohl auch noch im Hormonrausch. Definitiv erinnere ich, dass ich sagte: „Grüß deine Frau von mir!“ Wir lachten beide über die Absurdität dieser Äußerung, aber er konnte mein Bedürfnis, sie zu grüßen, durchaus nachvollziehen – die Grüße wurden tatsächlich ausgerichtet.

 

Akt IV: Die Folgen

Die beiden haben dann noch viel geredet – als er spätabends nach Hause kam, am nächsten Morgen und in den darauffolgenden Tagen. Er gab mir per SMS ein Update: „Bisher alles entspannt.“ Und erstaunlicherweise blieb es auch so. Drei Tage später trafen Simon und ich uns wieder – ebenfalls zum Reden. Als er vor meiner Haustür stand, sah ich da nicht mehr nur einen guten Kumpel, sondern einen Mann, dem ich sehr nah gekommen war. Er freute sich, als ich ihm sagte, dass ich es nicht bereute, den Sprung ins Ungewisse gewagt zu haben. Denn es war einfach eine schöne Nacht und eine einzigartige Erfahrung. Das Thema Wiederholung brachte er auf. Von seiner Seite aus war klar: „Ja, ich will mehr.“ Aber eben nicht, wie man es sonst denken könnte, mehr von mir. Sondern, so wie ich es verstanden habe, mehr von der Chemie zwischen uns. Mehr von dem Prickeln, unseren gut harmonierenden Vorlieben und den humorvollen Momenten.

Ich verstand ihn gut. Mir ging es ähnlich. Gleichzeitig fühlte ich mich sehr verletzlich, als er von den Gesprächen mit Julia berichtete. Sie stand weiterhin zum offenen Beziehungskonzept. Aber mir wurde beim Zuhören noch mal ganz klar, dass ich mich gerade zu einem Mann hingezogen fühlte, der in einer sehr festen Beziehung war, die ganz klar Priorität hatte. Dazu passte auch Julias Ansage: „Ja, ihr dürft weitermachen. Aber unsere Beziehung soll weiter im Vordergrund stehen – auch zeitlich gesehen.“ Auch das Thema Diskretion war ihr wichtig. Leider ist es ja wirklich so, dass Gerüchte über Fremdgehen aufkommen könnten,  wenn Leute Simon und mich zum Beispiel knutschend im Park sehen würden. Vielleicht müssten sich Julia und Simon gegenüber Bekannten oder Nachbarn erklären, denen sie ihr neues Beziehungskonzept, das sie selbst gerade erst ausprobieren, gar nicht auf die Nase binden wollen. Schade, dass unsere Gesellschaft nicht soweit ist, Menschen im Zweifel einfach anzusprechen und zu fragen: „Sag mal, ich bin verwirrt, bist du nicht verheiratet?“ Lästermäuler oder Leute, die wohlmeinend der Frau stecken, dass sie (vermeintlich) betrogen wird, erscheinen mir da durchaus etwas wahrscheinlicher.

Für mich, die ich als Singlefrau Teil dieses Experiments bin, hat das Ganze noch eine andere Komponente: In der Öffentlichkeit so tun zu müssen, als wäre Simon nach wie vor einfach nur ein guter Freund von mir, ihn nicht umarmen oder küssen zu können – das ist ein Verlust an (Liebes-)Lebensqualität, finde ich. Ich sagte ihm in unserem „Nachbereitungs-Gespräch“ auch, dass ich mich frage, ob ich in so einer Konstellation wirklich offen dafür sein kann,  andere Männer kennenzulernen. Als ehrlicher Mensch würde ich den entsprechenden Kandidaten auch davon berichten, dass ich zwar Single, aber quasi nicht komplett uninvolviert bin. Und das könnte ja auch bei meinem Gegenüber einige Fragen aufwerfen. Unser erstes Zwischenfazit war daher: Erstmal sacken lassen und ein paar Wochen abwarten. Ich erzählte ihm auch von meinem Date für das kommende Wochenende.  Er blieb locker und erklärte nochmal, dass er natürlich keine Exklusivitätsansprüche an mich stellte – schließlich konnte er sowas ja selbst auch nicht bieten. Ich verließ das Treffen mit der Frage im Kopf, ob ich diese Spannung zwischen uns, dieses Gefühl der Nähe, an- und ausknipsen könnte wie einen Schalter. Mein Date war dann ziemlich spannend.

 

Akt V: Die Fortsetzung?

Nachdem ich auch mit Julia nochmal ein paar SMS getauscht hatte und sie mich eingeladen hatte, doch mal wieder vorbeizukommen, besuchte ich die beiden ein paar Tage später.

Da saßen wir, zu dritt an einem Tisch, konnten uns alle noch in die Augen schauen. Unterhielten uns über dies und das, aßen Nachtisch. Ich berichtete von meiner Verabredung. Und erzählte, wie ich in meiner vorigen Beziehung auch schon mal mit dem Thema „Monogamie – ja oder nein?“ zu tun gehabt hatte. Julia sagte nochmal, dass sie alles, wie es bis jetzt gelaufen war, absolut ok fand. Das tat gut. Gleichzeitig fühlte ich mich nervös. Und eben doch ein bisschen wie ein Zaungast im Beziehungsuniversum der beiden. Simon hätte ich gerne länger umarmt zum Abschied. Denn das Prickeln zwischen uns war noch zu spüren.

Im Fahrstuhl dachte ich dann: Vielleicht ist es am besten, aufzuhören, wenn’s am schönsten ist. Denn auch wenn viele meiner Sorgen sich nicht bewahrheitet haben, empfinde ich diese Konstellation immer noch als einen Drahtseilakt, als einen Gang auf unebenem Terrain. Offene und ehrliche Kommunikation, die Geheimwaffe von Julia und Simon, kann sicher vieles möglich machen und entspannen. Aber sie braucht eben auch Zeit. Und ich glaube nicht, dass ich mich in einer dauerhaften Rolle als offen kommunizierte Neben-Sexpartnerin  wirklich wohlfühlen würde.  Schließlich gibt es ja, wie ich gerade wieder feststelle, durchaus Männer, die für mehr mit mir offen sind.

Inzwischen hatte ich ein weiteres tolles Date mit dem Mann, den ich wenige Tage nach meiner Nacht mit Simon das erste Mal traf. Und habe Simon erklärt: „Meine Priorität liegt jetzt auch auf einem anderen Menschen – und darauf, die Freundschaft mit dir und Julia zu erhalten.“ Bisher sieht es gut aus. Heute haben mich die beiden in ihren Garten eingeladen, um über die finale Version dieses Textes zu sprechen. Unsere Geschichte geht also weiter – jetzt wieder in ruhigeren Bahnen, aber mit neuen geteilten Erfahrungen, die wir alle so schnell nicht vergessen werden.

Text: Unique

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

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