Haha, reingeguckt! Hinter dem Vorurteil wartet die Schönheit

Im Ausgelachtwerden bin ich inzwischen Vollprofi. Nach fünf Jahren auf Weltreise, von denen ich gute zwei in Asien verbracht habe, weiß ich inzwischen wirklich ziemlich genau, wie sich “anders sein” anfühlt.

Groß. Blond. Blass. Rosageschwitzte Haut. Zwei Mönche, die an einer Straßenküche warten, mich sehen und sich auf einmal kaum noch halten können vor Lachen. “We just laugh because you´re tall!” gluckst mich der eine an, während er sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischt.

In diesem Moment verstehe ich den Unterschied zwischen ausgelacht werden und mitlachen, denn ja, es ist ja tatsächlich ziemlich witzig, mindestens anderthalb Köpfe größer zu sein als der Rest dieses Kontinents, und mich die ganze Zeit wie ein Promi zu fühlen, der ständig um ein Foto fürs Familienalbum gebeten wird. Schau, was für eine komische große Frau wir da wieder getroffen haben. Voll lustig irgendwie, oder?

Das Gute an dieser Unverkrampftheit ist: sie ist keine Einbahnstraße. Meine Freundin Tutu erzählt mir fröhlich, wie sie in der Schule immer verarscht wurde wegen ihrer flachen Spitznase, bevor sie mir mitteilt, dass ich ja echt ein gutes Gesicht für Selfies hätte, weil das viel dünner ist als der Rest an mir. Ich frage sie, ob sie mit ihren Mandelaugen dann eigentlich auch nur halb so viel sehen kann wie ich. Wir lachen uns kaputt.

Ich habe versucht, diesen irgendwie ziemlich buddhistischen Ansatz mit nach Hause in mein Europa-Leben zu nehmen. Anstatt “häh, komisch?” erst mal “ui, irgendwie interessant” zu denken. Voll anders, voll lustig. Erzähl doch mal, sag doch mal, wie ist das so, wenn man so ist wie du?

Dieses Gefühl hat sich für mich als guter Wegweiser entpuppt. Wenn ich was nicht verstehe und irgendwie doof finde, überlege ich, ob ich es stattdessen nicht stattdessen einfach irgendwie verhaltensoriginell finden könnte. Und dann versuchen, es zu verstehen, anstatt davor Angst zu bekommen.

Ein Vorurteil bedeutet: Ich verstehe etwas (noch) nicht. Also muss ich es irgendwie kategorisieren und für mich versuchen einzuordnen, auch wenn diese Einordnung für mich wirklich zwangsläufig zu kurz greifen wird. In einer Schublade ist nicht viel Platz. Da kann man immer nur einen Teil reinstecken, aber nie das Große, Ganze.

Um das sehen zu können, müssen wir lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Aha, und wie funktioniert das? Was heißt das denn, was bedeutet das für dich? Wie fühlt sich das an? Und was ist gut daran für dich?

Nach guten neun Jahren als Sexkolumnistin gibt es wirklich nicht mehr vieles, was mich noch schockieren kann. Aber dann doch täglich so einiges, was mich doch noch irgendwie überrascht.

Und auch das ist keine Einbahnstraße. Ich beantworte auch immer wieder gern geduldig die selben Fragen: Was sagen denn deine Eltern dazu? Und deine Freunde? Darfst du dann überhaupt einen Freund haben? Erwartest du, dass ich beim Sex einen Handstand mache?

Kind, räum mal lieber die Spülmaschine aus. Kannst du mir einen Vibrator empfehlen? Natürlich nicht, wo kommen wir denn da hin wenn jeder sich einfach verliebt wie´s ihm passt. Nein, in letzter Zeit steh ich eher auf Rückwärtspurzelbaumtantra.

Ich mach das gerne, weil irgendwann lachen alle und sagen: Du bist ja eigentlich doch ganz normal. Achso, ja, stimmt.

Denn erst wenn wir hinter das Vorurteil schauen können, unsere wohlkuratierten Masken wegignorieren und Menschen da wahrnehmen wo sie sind, kann es schön werden. Denn nur da entsteht das, was wir alle noch dringender brauchen als buddhistische Mönche ihren Lachanfall zwischendurch: Intimität. Verbindung. Nähe. Und nur in diesem sich-anderen-nah-fühlen können wir uns selbst wirklich nah sein.

Sprich: wer andere und ihre Klatschen, Macken, Ideen und Fetische besser akzeptieren kann, bringt auch für sich selbst mehr Empathie auf. Und das kann nur was sehr Gutes sein.

Und deswegen bin ich ein Riesenfan von Joyclubs neuem Kanal “Haha, reingeguckt!”

Isst ein Petplayer nur Whiskas? Kann eine Ballonfetischistin überhaupt noch auf einen
Kindergeburtstag gehen? Hat eine Intimfitnesstrainerin wirklich bessere Orgasmen? Und was ist eigentlich so toll an Natursekt? Eine Erfahrung, die ich auch in meinem Berufsleben gemacht habe: Je weiter das was ich gerade lerne, von meinem eigenen Erlebnishorizont entfernt ist, umso spannender finde ich es, den Enthusiasmus des anderen nachvollziehen zu wollen.

Und dafür ist dieses Format perfekt. Denn erst macht es Haha. Dann guckt man rein. Und dann sagt man irgendwann: oh. Ach SO! Und genau da fängt die Schönheit an.

Ich habe jetzt einen spontanen Crush auf eine russische Intimfitnesstrainerin, die vor Wortwitz und Leidenschaft für ihren Beruf nur so sprüht. Aber seht selbst.

Dieses zufriedene Grinsen auf ihrem Gesicht? It´s called Selbstakzeptanz. In allen Facetten der eigenen Weirdness. Und die macht großzügig gegenüber anderer Leute Beklopptheiten. Umarmt euch, ihr Freaks! Ihr seid wunderschön.

Danke an Joyclub für die nette Zusammenarbeit!

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com
Beitragsbilder: Joyclub

Theresa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

2 Kommentare

  • Antworten Juli 21, 2018

    Anastasia

    Hi Theresa!
    Heute hatte ich eine Kundin im Training, die über Deine Seite mich gefunden hat. Das ist total lieb!!! Was machst Du nächstes Wochenende? Darf ich dich zum Kurs in Leipzig einladen?

    Liebe Grüße,
    Anastasia Romanova (yonifit)

    • Theresa
      Antworten Juli 21, 2018

      Theresa

      Hach das freut mich sehr, liebe Anastasia! Nach Leipzig komme ich leider nicht so häufig, solltest du mal einen Kurs in Berlin, Wien oder München anbieten, gib mir gerne bescheid!
      Liebe Grüße, Theresa

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