In Charlottenburg waren wir selten – ein Text von Anna-Zoe

Und auf einmal hast Du mich mit einer Zeitkapsel zurück in die Vergangenheit katapultiert.

Ich sitze wieder in meiner alten Single Wohnung, mit altem Konfetti in den Schubladen und Erinnerungen an wilde Zeiten. Unsere Zeit war niemals wild. Aber ich habe Dich trotzdem geliebt, weil Du mir Ruhe gegeben hast und Hoffnung.

Das Wildeste, was wir hatten, waren die ständigen Versuche, es doch nochmal zu versuchen. All die Reisen, die uns zusammenschweissen sollten, das Phantasieren über unsere Reise mit dem Segelboot in die Karibik, während wir auf dem Steg vorm Hausboot saßen und uns gemeinsam vorgestellt haben, wie es wohl ist, wenn man nach wochenlanger Überfahrt, eines Tages endlich einen weißen Strand sieht. Land. Ankommen.

Alles was ich wollte, war mit Dir ankommen. Irgendwo. Ich habe mich so gewehrt am Anfang gegen das klassische Beziehungsmodell. Monogam und zu zweit, Mann Frau. Irgendwann vielleicht ein Kind. Ich habe mich so lange gewehrt, bis ich gemerkt habe, dass ich einfach nur Angst hatte. Angst, dass es nicht klappen könnte. So machen das doch alle in dieser Stadt. Aus Angst vor Schmerz immer noch ein Hintertürchen offen halten. Ich war eine von ihnen geworden.

Als mir das klar wurde, hab ich meine Angst losgelassen und mich eingelassen auf uns. Ich habe mich gefragt, ob unser Kind, eine Tochter natürlich, auch Sommersprossen haben wird. Ich habe mich gefragt, wie unser gemeinsames Haus genug Platz hat für unser beider Freiheitsgefühl.
Und je mehr ich das alles wollte und vor mir sah, umso mehr hast Du Dich wieder distanziert. Aus Angst?

Diese Distanz hat uns jetzt endgültig auseinandergespült. Und ich liege im Bett, seit Tagen und will hier nicht liegen, will so nicht sein. Ich bin doch eigentlich ganz anders und habe Deadlines und Termine, die ich einen nach dem anderen mit Vorwänden absage. Du hast mich erwachsen gemacht und jetzt zurück auf den Spielplatz geschickt.

Jetzt habe ich wieder Angst. Die Angst davor, Single in Berlin zu sein. Umgeben von Freunden in glücklichen Beziehungen. Oder zumindest in Beziehungen. Mit gemeinsamer Wohnung, Kind, Hund und SUV vor der Tür. Ich liege im Bett und lasse mir zweimal täglich Essen liefern. Ich ziehe mir jedes Mal einen BH an, wenn es klingelt und ihn wieder aus, wenn ich mich zwischen Aschenbecher, Pizzakarton und Taschentücher wieder in mein Bett fallen lasse. Immerhin ist der BH von Agent Provocateur. Du hast nie Wert auf schöne Unterwäsche gelegt. Warum eigentlich nicht? Ich sehe normalerweise super darin aus. Nur heute nicht. Eher wie ein Wischmopp mit Spitze. Ich sollte mal wieder duschen.

Ich kotze mich selbst an. Alles was ich wollte, war glücklich sein. Ich habe so hart gekämpft für dieses Glück, habe versucht alle Ratschläge vom Paartherapeuten anzunehmen und Dir sogar diese dämliche Präsentation gebastelt, als Therapie-Hausaufgabe: 20 Gründe, warum ich Dich liebe. Du hast sie nicht mal angeschaut und liebst mich nicht mehr. Ich hasse Dich. Oder mich? 20 Gründe zu viel.

Irgendwann kann ich das wehleidige Gesicht im Spiegel, der tollerweise (und aus ganz anderen Gründen, als sich selbst beim Heulen zuzugucken) gegenüber vom Bett ist, nicht mehr ertragen. Ich ziehe mein schönstes Kleid an und übermale mein Gesicht mit mehreren Schichten Make-Up und zeichne ein Lächeln mit Chanel Rouge Noir. Danke, Gott, dass Du Schminke erfunden hast. Um Gefühle zu übermalen. In Berlin sieht man seit einiger Zeit viele Geschminkte. Auch Männer. Früher war alles besser.

Ich schmeiße wahllos ein paar Sachen in meinen Koffer. Ich will einfach nur noch weg. Ich zerre den Trolley über das Kopfsteinpflaster und remple Touristen an und heute will ich mich ausnahmsweise mal nicht entschuldigen. Eine irre Frau tanzt alleine mit Kopfhörern und singt lauthals einen (selbstgeschriebenen) Song über eine Apotheke. Zu ihr fühle ich mich näher, als zu den lachenden Freundinnen, die eingehakt in Daunenjacken kichernd an mir vorbeigehen, als wäre ich unsichtbar. Meine Freundinnen holen gerade ihr Kind aus der Kita oder geben der Putzfrau Trinkgeld und beschweren sich, wie anstrengend ihr Leben ist. Ich werde niemals eine von ihnen sein. Und gerade jetzt in diesem Moment zerreisst es mir das Herz.

Mein Koffer fährt durch Hundescheisse und ich werde immer wütender. Ich kann unmöglich mit der Bahn fahren, so ein Unsinn. Aber mit Liebeskummer ist Drive Now genauso gefährlich wie mit Koks Formel 1 fahren. Ich winke mir elegant ein Taxi und kratze die Rollen mit einem vollgerotzem Taschentuch frei. Ich will keinen Ärger mit dem Taxifahrer. Er redet und riecht ein bisschen nach Schweiss. Ich unterdrücke meine Tränen, und presse die Nase gegen die Scheibe und male dann Gesichter ins Beschlagene. Er lässt mich an der Gedächtniskirche raus, als all by myself auf Radio Paradiso spielt.

Das Universum ist manchmal wirklich ein Witzbold. Ich gebe 10 Euro Trinkgeld, um mich ein bisschen so zu fühlen, als hätte ich alles unter Kontrolle. Ich fahre hoch und checke ein. Ich tue so, als wäre ich nicht von hier, auch wenn das natürlich Quatsch ist, denn der wirklich nette Mensch an der Rezeption hält gerade meinen Personalausweis in der Hand. Auf dem Foto sehe ich gut aus. Das habe ich gemacht, als wir noch glücklich waren.

Ich nehme die Suite. Nichts darf mich an Dich erinnern. In Charlottenburg waren wir selten. Weiter kann ich gerade nicht.

Ab jetzt wird Gebrauch gemacht von den Annehmlichkeiten von 4 Sternen. Ich bestelle mir eine Flasche Champagner und lasse mir ein Bad ein. Kreditkarten sind nur Schlüssel für Instantglück. Ich poste ein Bild von meinem fancy Zimmer und kriege viele Likes von Leuten die ich nicht like. Ich lege mir mit Schaum an den Fingern ein Profil auf allen Dating Apps an, die ich finden kann. Bei manchen habe ich sogar noch einen Account. Die Frau auf dem Profilbild lächelt mich an. Bin ich das? Was ist nur aus mir geworden?

Ich geselle mich jetzt wohl in den Kreis derjenigen ein, die andere konsumieren, nach links wischen, vielfach daten, sich nicht festlegen wollen. Man trifft sich und tut so, als wäre man cool. Polycool, Offene Beziehung cool. Dabei wollen alle nur in den Arm genommen werden und hoffen auf jemanden zu treffen, der das gleiche Parfüm trägt wie der Ex.

Es schreiben ein paar Leute „Hi“ und ich schreibe „Hi“ zurück. Mehr fällt mir nicht ein. Aber meinem Ego geht es schon ein bisschen besser. Mit schrumpligen Händen vom überbadet sein, öffne ich den Vorhang und sehe den blauen Himmel. Und zum ersten Mal seit Tagen kann ich atmen. Mir wird klar, dass ich jetzt frei bin. Ich kann tun und lassen was ich will. Und ich will glücklich sein.

Das Telefon piept und ein schöner Fremder schreibt, dass er mich kennenlernen will. Zwei Stunden später liegt er schnaufend neben mir im Bett. Und ich stelle fest, dass das Leben vielleicht doch gar nicht so schlecht ist. Er hat Haare, im Gegensatz zu Dir, er lacht, wenn er kommt, im Gegensatz zu Dir und sein Parfüm erinnert mich an meine erste große Liebe.

Vielleicht hattest Du ja doch recht und ich hab einfach nur Schwierigkeiten mit dem Loslassen. Ich schließe die Tür hinter dem Fremden und lösche alle Dating Apps wieder. Heute ist die erste Nacht seit Wochen, in der ich einschlafe ohne an Dich zu denken. Ich denke jetzt erstmal nur an mich. Ich bin ein Berliner.

Text: Anna-Zoe Schmidt

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

Theresa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

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