Keine Termine und leicht einen sitzen

Ich hab aufgehört mitzuzählen, wie oft Portugal mir schon den Arsch gerettet hat. Keine Ahnung ob es die melancholischen Männer in ihren gut geschnittenen Sakkos sind oder die salzige Atlantikluft, die mich dezent daran erinnert, wie Einatmen richtig geht und aus Schnappatmung Seufzen macht. Aber solange es funktioniert, ist mir das eigentlich auch komplett egal. Dasselbe könnte man über Achtsamkeit sagen.

I identify as tired. Ich habe gerade mein erstes Buch fertig geschrieben. Zwei Jahre reinschreien in einen luftleeren Raum, während ich sonst gewohnt bin, nach anderthalb Stunden Text-Runterrotzen auf „Blogbeitrag veröffentlichen“ zu klicken und sofort Resonanz zu bekommen. Zwei Jahre in meiner eigenen Biographie wühlen, mich einmal komplett dabei selbst zerlegen, die Monster unter dem Bett hervor zerren und in tageslichttaugliche Worte packen. Keine Ahnung, wie das bei anderen Autor*innen und Büchern so ist, aber mein Gefühl sagt mir, es ist generell eher selten so ein versonnenes auf-den-See-starren und zwischendurch ein paar erlesene Buchstaben in eine Schreibmaschine hacken wie bei „Tatsächlich Liebe“.

Bei mir jedenfalls war es eher so ein vokabularer Brechanfall, Depersonalisation next level. Es dauert, bis man von so einer Erfahrung wieder auf Null kommt. „This is Theresa, she has post-libral depression“ sagt einer mit einem gutgeschnittenen Sakko, und dass ich mich doch mal ausruhen soll. Ok.

Muss man da eigentlich irgendwas beachten? Ich starre eine Wand an und warte darauf, dass ich wieder auf irgendwas Lust bekomme. Ehrlich gesagt starre ich relativ lange. Nach ein paar Wochen fühle ich mich genau so, wie Liz Gilbert in Big Magic das Kreativgehirn beschreibt: es ist wie ein Golden Retriever – gib ihm verdammtnochmal irgendwas Sinnvolles was zu tun, ansonsten frisst er die Couch auf.

Wenn nichts weiter geht, muss man es selbst tun, also beschließe ich, dass Starren scheiße ist und lande eine Woche später in Porto, wo an den Rolltreppen nicht „rechts stehen, links gehen“ sondern „Be glad you´re not in a hurry“ steht und Coffee to Go 30 Cent teurer ist als der, den man im Sitzen trinkt.

Ich laufe den portugiesischen Jakobsweg, weil das schon mal geholfen hat. Laufen ist sinnvoll, wenn man die Welt nicht so gut versteht, laufen kann nämlich echt jeder Vollidiot. Immer der Nase nach, einen Fuß vor den anderen, so lang links das Meer ist und rechts portugiesisches Unterholz, ist das schon mal alles grob gar nicht grundfalsch. Ich laufe so lange, bis meine Wut langsam nachlässt und meine mentale Erschöpfung sich in körperliche verwandelt, mein Körper mir sagt, wann er Pausen braucht, wann einen Galao und wann ein lauwarmes, leicht salziges Pastel de Nata.

Und dann bin ich da. Nicht in Santiago, weil ich diese Pilgerstreber bisschen albern finde, sondern in einem kleinen Kaff an der spanischen Grenze, der sich nach einem hochoffiziellen und sehr pittoresken Ende der Welt anfühlt.

Drei Häuser, ein Steg, eine Ruine, viel Grün, viel Sand, viel laut krachender Atlantik – und Susanne Schwarz. Die ist Ende 40, geht aber locker 10 Jahre jünger durch, lachtlaut, viel und dreckig und ist mein neuer Achtsamkeits-Coach.

Das ist erst mal alles andere als ein leichter Job. In fünf Jahren Digitalnomadinnentum hab ich so viele selbsternannte Lifestylegurus kennengelernt, dass ich beim Satz „ich mach Coaching“ oft einfach unkommentiert das Gespräch abbreche. Dem nächsten, der mir erzählt, dass es ja nur meine EINSTELLUNG zu den Dingen ist, meine eigenen alten Glaubenssätze, ich somit ja echt an wirklich allem selber schuld bin, haue ich achtsam eine aufs Maul. Es ist nicht alles eine gottverdammte #selflovejourney, es gibt nicht immer irgendeine Pointe oder Moral, manchmal passieren schlimme Dinge auch einfach so, ohne besonderen Grund.

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Vom sinnlosen Pech. Sie stehen am Straßenrand, wie die Erdbeerhäuschen im frühen Sommer. Wie die BlumenverkäuferInnen an den Autobahnauffahrten. Sie stehen dort und warten. Auf einen Menschen auf der Suche nach dem Sinn. Die Life-Coaches und Positivity-Coaches, die „HeilerInnen“ und Rettungsverkündenden. Sie sind überall. Und ich kann sie nicht besonders gut leiden. In ihrer Welt gibt es kein sinnloses Pech, denn alles hat einen Sinn und wenn Du den noch nicht weißt, dann verkaufen sie ihn Dir. Soviel ist gewiss. Was früher Gott war, ist nun der seelenrettende Verkündermarkt. Ich mache mich jetzt gewiss nicht besonders beliebt, aber es gibt sie. Die Kategorie des sinnlosen Pechs. Es gibt sie, die Kategorie, in der etwas gottserbärmliches passiert und dieses gottserbärmliche erbarmt keinen Gott und macht keinen Sinn. Ich finde es abartig, Menschen, denen etwas Unfassbares widerfährt von außen auch noch mit Antworten auf das „Warum“ oder das „Wozu“ zu konfrontieren. Diese Fragen kommen ganz von selbst und auf diese Fragen gibt es manchmal keine, überhaupt keine Antwort. Es ist sinnloses Pech. Sinnloses Pech tut weh. Es liegt auf einem wie ein Stein. Ein Felsblock. Ein Findling. Ein Berg. Sinnloses Pech ist schier unerträglich. Und wenn man es eine Weile getragen hat oder ertragen hat, dann weiß man ganz vielleicht ein wenig besser, wie stark man eigentlich ist. Weil es eigentlich nicht zu ertragen ist. Paradox. Mit dem Ertragen mag sich auch etwas „Gutes“ entwickeln. Ein tieferes Bewusstsein. Eine ganz andere Lebenseinstellung. Aber ich kenne niemanden, der auf Lebensereignisse aus der Kategorie „sinnloses Pech“ nicht gerne verzichtet hätte. Nicht alle Lebensereignisse fallen in diese Kategorie. Aber wer sinnloses Pech schonmal erlebt hat, weiß sicherlich was ich meine.

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„Man kann nicht alles wegatmen“ stimmt Susanne mir zu, und ich bin direkt gleich ein bisschen entspannter. Die kommende Woche soll sie uns Techniken beibringen, die uns das salzige-Meerluft-Gefühl mit nach Hause mitnehmen lässt. Auf dem Programm steht systemisches Runterbechen auf verschiedene Aspekte, Schrauben an denen wir drehen können, ein Buffet, von dem wir uns bedienen können, uns die Häppchen nehmen, die wir brauchen.

Was brauchst du?

Diese Frage stellt uns Susanne so fast nervtötend oft, das sie uns irgendwann in Fleisch und Blut übergeht. Wo bist du jetzt, wo möchtest du hin, und was brauchst du für den Weg dorthin? Wer oder was könnte dir helfen? Wie gehst du mit dir selber um und macht das überhaupt Sinn? Was kannst du tun, damit deine Welt ein Stück besser wird? Es sind Fragen, die erst mal ein bisschen banal klingen, uns auffällt, dass sie uns anscheinend schon länger niemand mehr gestellt hat.

Wir, das ist ein erstaunlich homogener Haufen. Vier Frauen Anfang-Mitte 30, alle ziemlich schlau und gern gut in dem was wir jeweils so tun, alle politisch, alle ziemlich leicht entflammbar und mit sehr viel Verantwortungsbewusstsein bei allem dabei – Burnoutkandidatinnen wie aus dem Lehrbuch also.

Zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich den Appeal von Gruppentherapie: wenn man den eigenen Gedankenmurks so charmant in jemand anders wiedergespiegelt bekommt, dass man nur „hast du eigentlich komplett einen an der Waffel, Schatz?“ sagen kann, fällt der Griff an die eigene Nase direkt wesentlich leichter.

Gemeinsam zerlegen wir unsere Gefühle und Ideen und schauen sie uns von allen Seiten an. Angst = Ungewissheit + Machtlosigkeit, bricht Susanne es knochentrocken-systemisch für mich herunter. Wir machen eine Tabelle: Was weiß ich, was weiß ich nicht? Was kann ich tun? Es ist auch hier wie überall sonst: Sachen laut auszusprechen nimmt ihnen den Gruselfaktor.

Friendly Reminder an mich selbst, immer wieder und für immer. In dieser Woche passieren ganz viele Sachen, die ich eigentlich schon zu wissen geglaubt habe, weil ich mich eigentlich für den Achtsamkeitsjedi schlechthin halte: immerhin mache ich jedes Jahr eine Vipassana, 10 Tage Reizdeprivation, 16-20 Stunden pro Tag meditieren – ich bin sehr vertraut mit diesen Konzepten und mit mir selbst in diesen Zuständen.

Hier am schönsten Ende der Welt wird meiner Nüchternheit Spielfreude entgegen gesetzt. Knirschen im Sand, Papierschiffchen falten, Lutschen an einer getrockneten Physalis – es geht nicht darum, nichts zu tun, sondern das Wenige mit sehr viel mehr Präsenz.

Überhaupt, dieses “weniger tun”, von dem immer alle reden, dieses “Grenzen setzen” – Susanne gibt uns Tools, mit denen es leichter fällt. Mir fällt ein Satz wieder ein, den ich neulich irgendwo gelesen habe: “Grenzen sind Liebe”, und was wir lernen, passt dazu: Die eigenen Werte und Bedürfnisse sind unsichtbar, und wenn wir sie nicht kommunizieren, nehmen wir anderen Menschen die Chance, sie zu respektieren. Genausowenig nützt es uns, die eigenen Grenzen von innen zu überschreiten – dabei, “Überraschung”, schützt man sich selbst nämlich auch nicht.

Ich bin erst mal skeptisch, ob ich die Dinge, die ich hier sozusagen unter optimalen Laborbedingungen lerne – mit Meeresrauschen im Ohr, viel Rosé Vinho Verde Promille im Blut und extrem wenig Internetzugang – auch in die Realität mitnehmen werde, die leider ja immer noch grundsätzlich oft mal nervt (wenn man sich in den Kopf gesetzt hat, Bücher zu schreiben, übrigens gern manchmal auch noch ein bisschen mehr). Klar gelingt mir das nicht immer. Aber dafür immerhin immer mal wieder. Ich werde besser im Abwägen und neinsagen, komme meinem eigenen Blödsinn ein Stück weit schneller auf die Schliche, berate mich immer wieder mit meiner Coaching-Gang.

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Das Achtsamkeitsretreat ist vorbei. Was für eine tolle Woche. Intensives Arbeiten kombiniert mit Urlaub und Spaß, spannende Gespräche und viel herzhaftes Lachen. Ich liebe diese Arbeit, die sich gar nicht so anfühlt. Ich habe vier tolle Menschen kennenlernen dürfen, die sichtlich entspannter nun auch gen Heimat unterwegs sind. Und weil nach dem Retreat vor dem Retreat ist: Anfang Oktober geht’s nochmal in Portugals Norden – zum Thema Vision. Du willst dabei sein? Melde dich zum Kennenlernen und Fragen beantworten: https://www.susanne-schwarz.berlin/retreats/dein-neuer-weg-zufrieden-und-erfolgreich/ #achtsamkeit #morgenmeditation #wellenreiten #lifecanbegood #portugal #coachingammeer #coachingretreat #stressbewältigung #visionfinden #zukunftsplanung

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Meine To Do-Liste und der Terminplan der kommenden Monate entlocken mir zwar schon wieder ein nervöses Augenlidflattern (again: Buch. Just don´t do it) aber gerade deshalb lasse ich momentan schneller mal fünfe grade sein und mache zu sämtlichen Uhrzeiten Feierabend, wenn ich merke, dass mein Gehirn sowieso nur noch Blödsinn ausspuckt. Dieser Text hier dümpelt beispielsweise schon seit Wochen halbgeschrieben im “Entwürfe”-Ordner, fertig wurde er merkwürdigerweise nicht, als ich mich dazu zwingen wollte, sondern erst nach einem sehr spontanen, sehr lustigen Freundinnenwochenende.

Man kann nicht alles wegatmen, aber zwischendurch fünfmal tief ein- und auszuatmen schadet echt trotzdem nie, versprochen. Ganz oft höre ich Susannes Frage in meinem Ohr: “was brauchst du?” Und dann versuche ich, genau das zu tun.

Tausend Dank an Susanne Schwarz, die mich zu ihrem wunderbaren Retreat eingeladen hat. Den Flug dorthin habe ich selbst bezahlt, die Co2-Kompensationszahlungen selbstredend auch, total achtsam.

Mehr über Susanne Schwarz und ihre nächsten Retreats erfährst du auf ihrer Website.

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

Theresa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

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