Life Saving Handjob

Werbung ist dann gute Werbung, wenn sie Menschen genau da abholt, wo sie gerade sind. Werbung ist sogar noch bessere Werbung, wenn sie Menschen zum Lachen bringt. Und am allerbesten ist Werbung, wenn sie dabei auch noch eine richtig sinnvolle Sache bewirbt.

Ich schreibe jetzt seit rund dreizehn Jahren über Sex und Medien und alles dazwischen – und ich übertreibe kein bisschen, wenn ich jetzt sage, dass #lifesavinghandjob, die neue Kampagne der Techniker Krankenkasse innovativer und mutiger als fast alles andere ist, das ich in den vergangenen dreizehn Jahren gesehen habe.

 

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Anny Aurora dreht Pornos. Selbstbestimmt, zu ihren eigenen Bedingungen, direktfinanziert von ihren Fans. Genau die Art Very Contemporary Instagram-Model, das von den veränderten Arbeitsbedingungen der Pandemie ganz klar zu profitieren scheint.

Anny Auroras zahlreiche zahlende Fans sind vor allem junge Männer. Und die sind eben gleichzeitig auch exakt die Zielgruppe von #lifesavinghandjob, der neuen Hodenkrebs-Präventionskampagne der Techniker Krankenkasse.

Was beginnt, wie wahrscheinlich die meisten Clips von Anny, wird zu einem Aufklärungsvideo über Hodenkrebs – und zeigt – in der unzensierten Version auf Annys Website – am lebenden Objekt, wie man das Abtasten richtig macht.

Das hat man grundsätzlich schon öfter auf irgendwelchen Info-Slides gesehen, allerdings meist mit Bällen, Obst oder in einer anatomischen Zeichnung. So niederschwellig und charmant wie von Anny hab ich es bis jetzt allerdings noch nie erklärt bekommen – und die genauen Griffe auch noch erst so richtig verstanden, als ich sie in diesem dann-doch-nicht-Porno am lebenden Objekt vermittelt bekommen habe.

Und so ist das Ganze eben nicht nur zeitgemäß und sehr lustig, sondern gleichzeitig auch so unfassbar sinnvoll, dass sich meiner Meinung nach allein deswegen jegliches “Geben die jetzt unsere Mitgliedsbeiträge für Pornos aus”- Gemotze erübrigt.

Denn Hodenkrebs ist zwar insgesamt eine eher seltene Erkrankung – aber eben doch der häufigste bösartige Tumor bei jungen Männern. Umso wichtiger ist also die Früherkennung: ein Hodentumor ist zunächst nicht schmerzhaft, verursacht aber im Hodengewebe Veränderungen wie etwa Knoten, die sich gut ertasten lassen. Durch das regelmäßige Abtasten können Veränderungen frühzeitig erkannt und behandelt werden.

 

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Denn ja: Menschen haben Sex. Menschen schauen Pornos. Und eine Krankenkasse, die diese beiden Lebensrealitäten nicht nur anerkennt, sondern auch mitdenkt und widerspiegelt und gleichzeitig kritisch informiert und sensibilisiert, tut nicht nur ihren Mitgliedern einen Gefallen, sondern auch dem Gesundheitssystem.

Krankenkassen haben einen Präventionsauftrag laut §20 SGB – und sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insgesamt, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Sagt so nicht irgendwer, sondern die WHO in ihrer offiziellen Defintion von sexueller Gesundheit. Und weiter: Sie ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus.

Nach der Kampagne #mypornme, die einen gleichermaßen sexpositiven wie auch medienkompetenten Umgang mit Pornografie fordert und fördert, ist #lifesavinghandjob der konsequente nächste Schritt.

Und einer, für den die Welt bereit ist. Denn auch das habe ich in den letzten gut dreizehn Jahren Sex- und Medienbranche gelernt: die Art und Weise, wie wir öffentlich mit Sex umgehen, ändert sich zwar langsam, aber so langsam dann eben doch deutlich.

Als ich angefangen habe, über Sex zu schreiben, habe ich fast nur mit Sextoy – und Pornofirmen zusammen gearbeitet. Obwohl jeder beliebige Klempner mit einer nackten Frau auf dem Auto geworben hat, war den meisten Mainstream-Marken das Thema dann eben doch zu heikel.

Inzwischen arbeite ich hauptsächlich mit Brands und Unternehmen, die jede*r von uns kennt – von Verlagen und Filmproduktionen und Computermagazinen über Drogerien bis hin zum Coffeeshop.

Und diesen Paradigmenwechsel erleben auch andere: Während Pornoregisseur*innen  als “Intimacy Coordinators” in der Mainstream-Filmbranche an realistischeren Sexszenen arbeiten, wirbt Popstar Lily Allen stolz für eine Sextoy-Firma – und eine der größten deutschen Krankenkassen erreicht ihre Mitglieder jetzt auch genau da, wo sie sowieso gerade schon sind – mit einer Hand in der Unterhose.

Es scheint, als würde gerade endlich genau das eintreffen, was Werbeikone Cindy Gallop schon 2016 in Cannes gefordert hat: “The next client brief you work on, the next conversation you have with a client, let’s talk about the consumer’s sex life. Let’s talk about their attitudes toward sex. Let’s talk about their behaviours. Introduce it as a completely normal fact of life, literally, to every brand you work on.”

Nur so kommt Sex medial endlich genau da an, wo er immer schon hingehört hat: in der Mitte der Gesellschaft, in unserer aller Lebensrealität. Und damit eben auch in verdammt guter Hodenkrebs-Präventions-Porno-Werbung.

 

Tausend Dank an die Techniker Krankenkasse für diese großartige Aufklärungskampagne – und für die Unterstützung zu diesem Beitrag.

Theresa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

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