Lockerungsübungen


„Sammeln Sie die Treueherzen?“ fragt mich die Kassiererin. Anstatt wahrheitsgemäß „Wüsste wirklich nicht, wofür ich die verdient haben sollte“ zu antworten, nicke ich nur und werfe sie in den Messie-Geldbeutel zu den für immer vorläufigen Vorteilsclubkarten und dem für immer halb abgestempelten Kaffeebonuspass.

„Ich hab Tinder ja jetzt deinstalliert“ sage ich zu Kris und höre sie so langsam nicken, wie man nur seine beste Freundin durchs Telefon langsam nicken hören kann. „Ich glaube, ich bin jetzt dann wirklich bereit, weißt du? Für das Eternal Sunshine of the Spotless Mind Blitzdings. Ich hab nämlich echt nicht das Gefühl, dass mich irgendwas, was ich schon weiß, noch irgendwie großartig weiterbringen könnte.“ Sie nickt wieder. „Nur Kirsten Dunst im Krankenschwesternkostüm kann uns jetzt noch retten.“

Die kleine Selbstachtung möchte bitte im Bällchenbad abgeholt werden

In keiner anderen Situation klatschen neoliberale Machbarkeitslogik, feministische Vorstellungen und zweckfremde Spiri-Ratschläge so dermaßen ungehemmt aufeinander. „Es wird dann passieren, wenn du es am Allerwenigsten erwartest!“ sagen sie. Ich erwarte wirklich schon eine ganze Weile wirklich nicht besonders viel und es passiert tatsächlich auch schon eine ganze Weile: nicht besonders viel. Oder halt viel zuviel, für das was es ist, je nachdem wie man´s sieht.

„Entspann dich doch mal, diese Dinge kann man doch eh nicht planen!“ sagen sie, und ein Mann, während er in mir drin steckt: „Können wir das morgen bitte noch mal machen?“ Lass stecken, Schätzchen, denke ich, und schwafle irgendwas pseudozenbuddhistisches über die Magie des Augenblicks, bevor ich mental schon mal auf „unmatchen“ tippe. Wusstet ihr eigentlich, dass man Syphillis auch vom Küssen bekommen kann?

„Es ist aber auch wichtig, erst mal zu wissen, was du eigentlich selber willst, oder?“ Die Google-Suche zu diesem Thema ist wenig erkenntnisreich bis auf die Tatsache, dass Parkplatzsex wahrscheinlich nie mein Ding sein wird.

„Gut, dass du noch keine Dreißig bist“, sagt ein Tinderdate, drei Monate vor meinem dreißigsten Geburtstag, nachdem er von sich aus ungefähr drei Mal das Thema Nachwuchs angesprochen hat. „Da werden Frauen dann immer so anstrengend“. Er ruft mich nie wieder an. Ist ihm wohl aufgefallen, dass ich frühreif bin.

„Du musst dich doch zuallererst mal selbst lieben lernen!“ sagen sie, und ich sage meinem Spiegelbild jetzt täglich ein paar Inspirational Quotes von Rumi und Marilyn Monroe auf, bei der hat das ja auch schon so prima geklappt. Das einzige, was das bewirkt: mir fällt auf, dass ich jetzt langsam endlich wirklich zu alt und schrullig bin für diesen ganzen seltsamen Blödsinn.

„Vielleicht bist du auch einfach schon zu unabhängig? Wo soll sich ein Mann denn da noch als Mann fühlen?“ Ich fürchte, es ist mir schon fast zu egal. Verläuft ja immer so wellenweise: Gott wie egal mir das ist, scheiße irgendwie ist es mir gerade nicht egal, nee bei dem nicht, fuck, okay na gut, in Wirklichkeit ist es mir doch egal, darf mir das eigentlich wirklich so egal sein oder gibt das Punkte in Bad Liebenau?

Bitte nicht schubsen, ich hab Birchermüsli im Rucksack

Es ist wohl wirklich an der Zeit für einen Paradigmen- und Taktikwechsel. Demnächst werde ich mich in Dinosaurierschlafanzughosen und meinem ausgeleiertsten Sport-BH auf den Rathausplatz stellen, mit einem Schild um den Hals auf dem steht: „Writer 30/180 currently not looking for short stories (NO ONS)“. Dazu werde ich Handzettel verteilen, auf denen tabellarisch meine schlimmsten Schrullen aufgelistet sind.

Glaubt heimlich doch an Horoskope. Hat den Ulysses nie zuende gelesen. Gespräche vor dem ersten Kaffee enden zwangsläufig in Streit. Interessiert sich eigentlich echt nicht sehr für Innenpolitik. Ja, eh auch sehr schwer sehr nachhaltig beziehungsgestört. Noch immer drei mal mehr als du. Braucht viel Applaus und sehr regelmäßige Nahrungszufuhr. Heimlich doch sehr oberflächlich aber hey, ich bin Waage, was erwartest du denn bitte?

Erwarte bitte generell nicht so viel. Lass dich doch einfach mal angenehm überraschen Mensch, aber bitte, das geht auch erst, wenn du dich echt einfach mal locker machst.

Meine neu gewonnene Freizeit ohne Tinder nutze ich jedenfalls erst mal dazu, mich auf Geschlechtskrankheiten checken zu lassen. Kein Aids, kein Syphillis, immerhin! Danach bin ich schwer damit beschäftigt, meine Erwartungshaltung zurück zu schrauben und mich auch echt einfach mal locker zu machen. Die Yogalehrerin hat dann zu mir gesagt, ich hätte leider einfach nicht genügend männliches Chi. Zu flexibel, aber gleichzeitig irgendwie halt nicht stark genug. Gibt leider schnell einen emotionalen Bandscheibenvorfall heutzutage, sowas.

Wenn Sie sich nun bitte frei machen würden

Irgendwann werde ich einfach überhaupt nichts mehr wollen. Das wird ein sehr schöner Tag. Ich werde ein selbstbefruchtendes Seepferchen sein und nichts mehr von niemandem erwarten, außer in wohlkoordinierten Bahnen so vor mich hin zu stoffwechseln und gelegentlich einen gemeinsamen kleinen Digestiv einzunehmen. Die erwartete Erwartungshaltung wird zu einer self fulfilling prophecy werden und ich werde auch einfach nichts mehr wissen müssen, außer: Bescheid.

Es wird Frühling sein, so um die 21.5 Grad, wenn dann wirklich vollkommen unerwartet und spontan zwei exakt deckungsgleiche Erwartungshorizonte und Erregungskurven aufeinander prallen, nur dass das nicht besonders laut sein wird, sondern eher mit so einem einrastenden leisen „Klick“, das fast vom Vogelgezwitscher übertönt wird.

„Haben Sie denn gut hergefunden?“ werde ich hauchen, schon leicht atemlos weil leider geil, und er oder sie wird Pessoa zitieren:

Come and sit down with me, on the bank of the river
Quietly let us watch it flowing and learn
That life is passing and we are not holding hands
(Let us hold hands.)

Wir werden in einer ausgesuchten gemeinsamen Drittsprache kommunizieren, mit einem sorgfältig kuratierten, sehr poetischen Vokabular, das nur aus Freundlichkeiten besteht und keinerlei Raum für Fehlinterpretationen oder Unoriginelles zulässt. Es wird eine Welt sein, in der keiner morgens Mundgeruch hat, und dann wird es auch keine weiteren Fragen geben, außer vielleicht „wer bist du, wenn keiner zusieht?“ und „welche Serie schauen wir eigentlich als nächstes?“

Und dann werden wir: glücklich sein. Genau wie sich das gehört. Nur noch sieben Treueherzen bis zum Topfset.

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

Theresa

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

3 Kommentare

  • Antworten Mai 7, 2017

    Jurgen

    “Mach dich einfach mal locker.” Ich glaube Watzlawick oder einer aus der Ecke (Palo Alto, 60s) nannte das eine paradoxe Verschreibung. Du hast mich dazu gebracht nach ich weiß nicht wie langer Zeit wieder in Watzlawicks (et. al.) Menschlicher Kommunikation herum zu lesen. Wegen dieses bizarren postkoitalen Dialogs den du beschreibst, der mir seit zehn Tagen immer wieder in den Sinn kommt. Ich habe die Stelle noch nicht gefunden, aber irgendwo beschreibt Watzlawick, dass unterschiedliche Kulturen unterschiedlich viele Schritte brauchen, um eventuell Sex miteinander zu haben, wohl gemerkt geschrieben in den Sechzigern in Kalifornien. Und wenn dann die Frau mit ihrer Kultur einen heftigen Kuss als letzten Schritt vor dem Sex interpretiert und sich hingibt, während der Typ eigentlich glaubt er braucht noch mindestens zwei Dates, bis er am Ziel ist, denkt er nach dem Sex die Frau war ne Schlampe, weil er seine Punkte nicht abarbeiten konnte.

    Heute ist natürlich alles gaanz anders. Wenn ich endlich ein Smartphone habe auf dem ich Tinder installieren könnte, haben alle interessanten Frauen längst eine Plattform entdeckt, von der ich noch nie gehört habe.
    Ich gehe auch gern spazieren, fast immer alleine und am liebsten am frühen Morgen, mehr noch für die Augen und den Kopf als für alles andere. Was für Gedanken, Erinnerungen und Ideen da auftauchen: Ereignisse, die Jahre, Jahrzehnte zurückliegen, mit Menschen an die man seit Jahren nicht mehr gedacht hat. Der Weg ist meine Madeleine aux recherches, aber die Zeit ist nicht verloren.

    A propos, fast vergessen, wie viele Leute kennst du, die den Ulysses zu Ende gelesen haben?

  • […] dagegen hilft: Wunden lecken, STD-Test machen, Tinder deinstallieren. Eine Leserin nennt es „Dating Sabbatical“, ich nenne […]

  • […] wir also wirklich so viel davon, im hyggelig-stillen Kämmerlein unsere Wunden zu lecken und es #selfcare zu nennen? Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, […]

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