Die Nach-Weihnachtszeit ist ziemlich einsam, aber in diesem Winter vor ein paar Jahren war sie noch einsamer als zuvor. Ich hatte vor ein paar Wochen meinen Vater beerdigt.
Der Wiener Januar schien mir kälter und düsterer als sonst. Während die eisigen Windböen durch die leergefegten Straßen zogen, saß ich allein in meinem damaligen Fotostudio. Die Stadt war wie ausgestorben, die meisten Freunde verreist.
Ich scrollte in die Ewigkeit meines endlosen Facebookfeeds. Apathisch. Eine unbedeutende Kundgebung nach der anderen von Leuten die ich wenig bis gar nicht kannte.
Ich wollte alleine sein, aber auch nicht.
Ich wollte Nähe, aber auch nicht.
„Was jetzt?“ mit Allem. Leben und so.
Da erreichte mich die Nachricht einer ehemaligen Arbeitskollegin – „Na? Wie geht’s dir gerade?“.
Sie lebte ein paar Häuser weiter weg und machte Ähnliches durch. In den vergangenen Wochen durfte sie ihre, sehr nahestehende Großmutter beerdigen.
Scheiss Tod. Wir hatten uns schon die letzten Wochen viel ausgetauscht – viel Ähnliches erlebt und gefühlt. Die Schwere geteilt.
Es dauerte nicht lang bis wir beide wussten, dass wir versuchen würden die Leere mit Alkohol zu füllen, um uns abzulenken. Auf der Suche nach emotionaler Taubheit war ich kurze Zeit später bei ihr. Instinktiv suchten wir Selbstzerstörung. Die Linderung des Schmerzes.
Comfortably numb. Wir öffneten die erste Flasche.
Anstatt des Rauchs und des Knisterns eines Kaminfeuers rauchte der Joint und die alte Leonard Cohen Platte knisterte. Wir sprachen wenig. Nur das Nötigste. Und hielten uns in den Armen. Die einzige Wärme die wir finden konnten war in unserem gegenseitigen Beistand, und im Rausch der Trauer. Innig und Eng.
Vereint in unserem Verlust – in unserer Zerrissenheit. Vereint in Gedanken über das Ende des Lebens, über Zerstörung und Anfang. Vereint in der Suche nach unserem Jetzt-Zustand.
Das bisherige Konstrukt unserer Familien war zu Ende. Es musste etwas Neues her. Etwas Unbekanntes. Etwas, was uns niemand sagen konnte. Kein Plan, keine Wegweiser, nur ein offenes Buch.
Während wir versuchten uns zu betäuben, passierte jedoch etwas Anderes.
Ich war schon oft in Situationen, in denen Sex aus destruktiver Motivation passiert – seien es One-Night-Stands, die nur als Ablenkung von anderen Problemen dienen, oder Sex mit Ex-Freundinnen, bei dem man weiss, man tut sich nichts gutes an.
Wir schliefen miteinander um zu teilen – und um uns mitzuteilen. Unsere Trauer, unseren Verlust. Um unsere gemeinsame Wärme zu spüren. Um in der emotionalen Obhut des anderen etwas anderes als Schmerz zu empfinden.
Eine eigenartige, schweigende Intimität, für die es keine Worte gibt. Wo mein Körper mit ihrem kommunizierte – innig, instinktiv, natürlich. Und intensiv.
Wir gaben uns dem anderen komplett hin. Ein zutiefst verletzlicher und vertrauter Austausch an Körper, an Emotionen und Gedanken. Zwei offene Wunden die sich im Augenblick umschlungen. Um uns Trauer zu erlauben. Um den Tod und das Leben zu zelebrieren.
Unser Verlust führte zur einer sexuellen Extase. Einer Feierlichkeit von Körper und Geist. In dieser Nacht tauschten wir alles aus, ohne ein Wort zu sprechen. Und schliefen eng umschlungen ein.
Titelfoto und Text: (c) Philipp Spiegel