Nein sagen ist das neue schwarz. Aber was passiert eigentlich mit denen, die das Nein dann zu hören bekommen? O. erzählt es uns heute. Vielen lieben Dank dafür!
Ich bin die meiste Zeit meines Lebens in einem Zustand der erotischen Unterversorgung. Ich habe keine Beziehung und bin sehr zurückhaltend in meinem Zugriff auf mögliche Ersatzbefriedigungen.
Das müsste ja jetzt dazu führen, dass ich nun besonders anfällig bin für sexuelle Frustration und besonders empfindlich auf Zurückweisung reagiere, nicht wahr?
Was die Frustration angeht, ja, die ist störend. Und ich kann auch guten Gewissens sagen, dass es nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört, abgewiesen zu werden und „einen Korb zu kriegen“.
Mein Appell ist aber heute klar und eindeutig: Macht ein „Nein“ deutlich, wenn ihr ein „Nein“ meint!
Diese Botschaft gilt vor allem den Menschen (es sind vermutlich kulturell bedingt mehr Frauen davon betroffen, aber der Appell kann ebenso von Männern und anderen Menschen aufgegriffen werden), die Schwierigkeiten haben, eine Ablehnung auszusprechen, weil sie vielleicht befürchten, die Gefühle des Gegenübers zu verletzen.
Gleichzeitig geht auch eine Botschaft an die Menschen (hier sind vermutlich kulturell eher die Männer betroffen, aber auch das geht grundsätzlich an alle), die Schwierigkeiten haben, ein Nein als solches zu hören, weil ihnen vielleicht eingeredet wurde, sie müssten sich nur genügend anstrengen, dann würden sie auch Erfolg haben. Diese Botschaft ist: Macht die Ohren auf, hört auf das, was vom anderen kommt, so früh wie möglich.
Aber was fällt mir eigentlich ein, diese Appelle überhaupt auszusprechen? Der Grund ist, wie ich hoffe, sehr einfach: Ich habe erlebt, wie man diese Gegenseitigkeit erreichen kann.
Vor einiger Zeit besuchte ich eine Gemeinschaft (das ZEGG), in dem alternative Formen des Zusammenlebens erprobt werden. Es fand dort ein Seminar statt und mir war eine Teilnehmerin schon auf der Fahrt dorthin aufgefallen. Der Einfachheit halber nenne ich sie hier S. Ich hatte sie zum ersten Mal an der Bushaltestelle auf dem Weg zum Seminarhaus entdeckt. Sie wartete dort und ich war mir fast sicher, dass sie gar nicht zum gleichen Ort wie ich unterwegs war. Umso erfreuter war ich, als ich mich geirrt hatte und sie unter den Teilnehmern des Seminars entdeckte, an dem auch ich teilnehmen wollte.
Nun, meine Hormone gerieten in Wallung. Nicht, dass ihrerseits irgendeine Andeutung bestand, dass sie sich für mich interessierte. Das Gefühl, was da in mir drin saß, war wohl oder übel sehr einseitig. Das konnte ich aber zu jenem Zeitpunkt noch nicht wissen.
Nachdem einer der Seminartage vorüber war, fand ich S. in sehr inniger Umarmung mit zwei anderen Teilnehmern. Nachdem ich mit einigen anderen der Teilnehmer darüber gesprochen hatte, wie neidisch ich gerade auf diese kleine Gruppe der Kuschelnden sei, ermutigten sie mich, zu fragen, ob ich mich dazugesellen könnte.
Ich nahm also meinen Mut zusammen und fragte genau das.
S. drehte sich zu mir um und fragte nach: „Möchtest Du Dich dann an meine andere Seite anlegen?“
„Ja“, antwortete ich.
„Im Augenblick lieber nicht, danke.“
Da war sie nun: Die Ablehnung. Es herrschte einen Moment Stille und ich wartete auf das frustrierende Gefühl, das mit Ablehnungen üblicherweise einher ging. Es kam vorbei, stupste mich kurz an … und ging dann auch wieder. Ich war so überrascht, dass ich gar nichts mehr zu sagen wusste.
Nicht, dass mir eine andere Antwort nicht besser gefallen hätte. Ich war enttäuscht. Aber ich war nicht am Boden zerstört.
Stattdessen erfüllte mich so etwas wie Freude. Freude über die Atmosphäre des gegenseitigen Respekts. Sie gestand mir zu, die Frage zu stellen, und ich gestand ihr zu, mir ein „Nein“ zu geben, ohne dass es auf einer Seite zu einer Anhäufung von Groll gekommen wäre.
Ich konnte zusehen, wie S. die Umarmungen fortsetzte, wieder in das Kuscheln eintauchte und ich konnte mich für sie freuen, auch wenn ich nicht beteiligt war.
Im Nachhinein wurde mir sogar klar: Ihre Antwort war die beste, die sie mir in diesem Fall geben konnte, weil sie mich nicht für meine Frage verurteilte und gleichzeitig ihre eigenen Grenzen gewahrt hat. Jedes falsche „Ja“ oder „Na gut“ wäre hier suboptimal gewesen. Ich erkannte, dass ich nur dann ein „Ja“ haben möchte, wenn auch ein „Ja“ gemeint ist.
Und ich erkannte, dass das die Art des Umgangs ist, von der ich mir mehr wünsche. Danke an S., wo immer Du auch bist.
Titelfoto: Aaron Tsuru (c) tsurufoto.com
Yes it´s fucking political ⋆ Lvstprinzip
[…] Wer die eigenen Grenzen ausgetestet hat, weiß wann es Zeit ist, Nein zu sagen und kann andere Neins besser akzeptieren. Und weiß deswegen auch, wann es Zeit für ein Ja […]