Meine Affäre mit Genitalherpes – ein Text von Lonia

Im September frisch getrennt, zur Unterhaltung Tinder auf meinem Handy installiert und hoppla, im Oktober dann ein Tinder-Date. Tatsächlich war es erst das Zweite, zu dem ich je gegangen bin. Seinen Vorschlag, sich in der Mittagspause zum Essen zu treffen, finde ich gut. „Für den Fall dass ich kein guter Gesprächspartner bin, haben wir dann wenigstens ein Zeitlimit und einen Ausweg“ schreibt er. Geil, da denkt jemand wie ich. Und dann ist er auch noch Brite − das mag oberflächlich klingen, aber für die habe ich eine echte Schwäche.

Nach anderthalb Stunden toller Gespräche muss er zurück ins Büro und wir verabreden uns für ein baldiges Wiedersehen. Alles scheint super, wir treffen uns wieder und Date Nummer drei findet dann bei ihm Zuhause statt. Wir kochen, unterhalten uns und machen rum. Es dauert nicht lange, bis von ihm der eine Satz kommt, der in der Regel nichts Gutes verheißt: „Ich muss dir was sagen.

Überraschenderweise bleibt das Kopfkino bei mir aus und ich warte einfach ab. Was er jetzt ausspricht, ist ihm sichtlich unangenehm. Ich bleibe erstaunlich unberührt, als sein Mund die Worte „ Ich habe HSV Typ I“ formt und er davon zu erzählen beginnt.

Bei HSV denkt ihr nur an Fußball? Ok, machen wir einen kleinen Exkurs in mein angelesenes Laienwissen (bitte wendet euch bei konkreten Fragen an einen Arzt): HSV steht für Herpes Simplex Virus, welches meistens verkürzt Herpes genannt wird. Mit Typ I wird die anscheinend geläufigere Form bezeichnet, welche oft um den Mund herum auftritt, aber auch an jede andere Körperstelle übertragen werden kann. So eben auch in den Genitalbereich. Dort kommt wohl meistens eher HSV Typ II vor, auch Herpes Genitalis genannt. In beiden Fällen gibt es keine Heilung und die betroffene Person ist immer wieder Ausbrüchen ausgesetzt, die als akuter Fall oder mit kontinuierlicher Medikamentengabe behandelt werden können. Beide Formen sind wohl jederzeit, aber vor allem bei einem Ausbruch, (hoch) ansteckend.

Also nicht gerade ein Plus für ein entspanntes Sexleben…

Aber kommen wir zurück zu diesem Moment, in dem der Mensch, mit dem ich gerade rumgemacht habe, mir beibringt, dass er Herpes hat. Als er alles gesagt hat, bietet er mir an, zu gehen. Er könne das voll nachvollziehen, wenn mir das Ansteckungsrisiko zu hoch sei. Bleiben tue ich trotzdem. Ich möchte mich erstmal gedanklich ordnen und informieren, bevor ich eine Entscheidung fälle. Außerdem ist es irgendwie schön mit ihm. Gleichzeitig fehlt irgendetwas.

Ich frage mich, ob es daran liegt, dass es keine tiefere Verbindung zwischen uns gibt, oder gerade wegen dieser. Das Ansteckungsrisiko ist jedenfalls nicht der Punkt, der mich primär beschäftigt, und verliert mehr oder weniger sofort an Relevanz. Auf die Treffen mit ihm kann ich nicht verzichten. Irgendwie tut mir die Zeit mit ihm gut. Ich fühle mich frei und selbstbewusst
in seiner Gegenwart. Beides Dinge, die mir in vielen anderen Bekanntschaften oft fehlten.

Wenn wir zusammen sind, kann ich meine Gedanken so frei aussprechen wie nie zuvor, ohne mich zu sorgen, wie er das aufnehmen könnte. Ich kann jede Frage stellen, die mir in den Kopf kommt. Das zwischen uns ist von Ehrlichkeit und Offenheit geprägt.

So erfahre ich von ihm auch, wie es zu seiner Herpes-Infektion kam: Er hat sich bei seiner Ex Freundin angesteckt. Diese hatte HSV wiederum von ihrem Ex-Partner. Als mein Brite sie kennenlernte, glaubte er, es gäbe kein Risiko, sich von ihr mit etwas anzustecken, weil sie aus einer zweijährigen Beziehung kam.

Deshalb hat er keine Tests auf sexuell übertragbare Krankheiten eingefordert, ehe es zwischen den beiden intim wurde. Leider war das eine Fehleinschätzung… Jetzt nimmt er regelmäßig Medikamente ein und hat abgesehen von kleineren, wenig störendenden Ausbrüchen keine Probleme. Unser Sex gibt mir ein so großes Gefühl von Freiheit und Entspannung wie schon lange nicht mehr. Ich kann einfach ich selbst sein und jegliche Gedanken oder Gefühle von Scham wegen meines Körpers verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Mir ist durchaus bewusst, dass viel davon an der Entwicklung liegt, die ich mit mir selbst innerhalb des letzten Jahres durchlebt habe − ich bin jetzt mehr bei mir. Aber es ist auch seine Art, mit mir umzugehen.

Er ist sehr bei sich, selbstbewusst und hat klar vor Augen, was seine Bedürfnisse und Prioritäten sind. Nie kommentiert er mein Aussehen negativ oder mit einem optimierendem Unterton, mein neugefundenes Selbstbewusstsein kann sich frei entfalten. Obwohl ich mich bewusst für sexuellen Kontakt mit ihm entscheide und wir mit Kondom verhüten, geht mir das Thema HSV doch nicht vollständig aus dem Kopf.

Sobald wir sexuell interagieren, kommen bei mir Ansteckungssorgen auf. Im Dezember entdecke ich in meinem Intimbereich drei oder vier kleine Pickel, die ich nicht klar einordnen kann. Sind es normale Hautverunreinigungen? Kommt das, mal wieder, durchs Rasieren? Ist mir ein Haar eingewachsen? Oder sind es tatsächlich HSV-Bläschen? Über meine Gedanken zu diesem Thema spreche ich mit ihm nie. Da er mir die Entscheidung selbst überlassen hat, möchte ich ihn nicht mit meinen möglichen Hypochondergedanken konfrontieren. Außerdem sehe ich nicht, wie das ihm oder mir helfen soll.

„Er kann aber doch vielleicht beurteilen, ob es HSV-Bläschen oder einfach Pickel sind“ sagt eine meiner besten Freundinnen. Ja, mein Körpergefühl hat sich deutlich gebessert, aber untersuchend betrachtet werden möchte ich von ihm trotzdem nicht. Dafür wünsche ich mir ein neutraleres Verhältnis, eben wie bei meiner Ärztin. Da meine halbjährliche Untersuchung eh wieder ansteht, vertage ich „Gewissheit bekommen“ einfach bis dahin – neben ihm habe ich aktuell sowieso keine weiteren Sexpartner, die ich meinerseits anstecken könnte, falls es tatsächlich Herpes ist.

Ich bin wirklich dankbar dafür, dass meine Ärztin mir so viel Sicherheit und Verständnis bietet. So kann ich ihr relativ entspannt erzählen, was bei mir gerade Thema ist und dass ich gerne einen Test machen würde. Es ist ein klein wenig erleichternd, als sie mir sagt, dass vier von fünf Menschen im Laufe ihres Lebens HSV bekommen, viele das aber nicht einmal merken oder wissen. Als ich mir hinterher von der Sprechstundenhilfe sagen lasse, was mich der Test kosten würde, stockt mir kurz der Atem: 60 Euro. Das bin ich gerade einfach nicht bereit zu zahlen. Also gehe ich ohne Aussicht auf baldige Gewissheit wieder aus der Praxis.

Seit Silvester wird er dann immer distanzierter. Ihm scheint seine vorherige Beziehung doch noch sehr zu schaffen zu machen und er spricht immer wieder davon, noch viel Zeit für die Verarbeitung und vollständige Heilung zu brauchen. Druck mache ich ihm deshalb keinen. Ich verstehe seine Lage und wir haben nie definiert, was wir da eigentlich tun. Mitte Februar beendet er die Sache zwischen uns per SMS, weil er mich nicht verletzen möchte und sich nicht in der Verfassung sieht, es wie bisher weiterzuführen. Ich bin weder wütend noch komme ich mir von ihm verarscht oder hintergangen vor. Er hat mir immer das Gefühl gegeben, ganz aufrichtig mit mir zu sein. Verletzt bin ich trotzdem. So sehr, dass es einen ganzen Tag dauert, bis ich ihm schreiben kann, dass ich für eine Antwort noch etwas Zeit brauchen werde. Erst einen weiteren
Tag später schaffe ich es, tatsächlich auf seine Nachricht einzugehen, ohne dabei in Tränen auszubrechen.

Mein Gefühl sagt mir, dass es bei mir um mehr als ein verletztes Ego geht. Er kommt auch zwei Wochen später noch in meinen Träumen vor, immer verbunden mit dem Wunsch, etwas von ihm zu hören und wieder regelmäßigen Kontakt zu haben. Die Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht habe und alles, was ich durch die Interaktion mit ihm gelernt habe, möchte ich nicht missen. Was auch immer wir die letzten Monate miteinander hatten, es hat meine bisherigen Erwartungen und Gewohnheiten in Frage gestellt und mir eine Art des miteinander Umgehens gezeigt, die ich mir auch weiterhin wünsche.

Ob es das Risiko wert war, mich mit HSV anzustecken, kann ich noch nicht einschätzen. Mein jetziges Gefühl sagt: ja. Die Gewissheit über meine Situation verschaffe ich mir möglichst bald nach meinem Umzug. Wie passend, dass mein ‘neues Leben’ in einer anderen Stadt womöglich auch einen permanent veränderten Gesundheitszustand beinhaltet.

Text: Lonia

Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

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Ein Kommentar

  • […] Familienplanung, sondern ja immer auch sich selbst. HIV sieht man niemandem an, Chlamydien und Genitalherpes auch nicht. Ja eh klar, das waren alles saubere Mädels. Nee, mit “auf sich achten” […]

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