Über Brüste und Mut

Ich steh ja schon so´n bisschen auf Rumgeschubse. Wieso gründest du denn nicht einfach mal einen Blog? fragte mich vor rund anderthalb Jahren ein schlauer Tim Chimoy in einem Saigoner Kaffeehaus, und ich dachte ja, warum eigentlich nicht? Schubs!

Hast du nicht Lust, auf meiner Konferenz zu reden? fragte mich letzten Herbst ein ebenso schlauer Felix Wegener. Und ich so, puh naja, also warum auch eigentlich nicht? Schubs!

Immer erst mal einfach all in. Alles drunter lohnt sich auch so selten. Und Dinge, die mir Angst machen, machen mich eben auch oft genug einfach ein bisschen an. Einen eigenen Blog, so mit meinem Namen und alles? Vor 300 Leuten Sachen sagen, wo das letzte Referat in der Uni vor 20 Leuten halt doch schon ein paar Semester her ist? Allein nach Indien fliegen? Ja! Geil. Schubs!

Warum das ganze eventuell doch vielleicht blöd sein könnte, überlege ich mir normalerweise, kurz bevor´s soweit ist. Beim Checkin zum SpiceJet nach Madras, den ich bei der Buchung noch wahnsinnig lustig und poetisch fand. Bis ich in der Schlange stehe, als einzige blasse rotblonde Frau um die einsachtzig, unter 200 Indern mit Schnauzer und Chenillepullunder. Ich bin noch leicht dizzy von der Wurzelbehandlung ein paar Stunden vorher. Schön mit offenen Wunden im Mund nach Indien, wieder mal alles richtig gemacht, Mädchen! Der Schnauzermann vor mir streichelt seine Topfpflanze, die natürlich mit nach Madras muss, und wirft mir lüsterne Blicke dabei zu.

Sicher, dass das ganze nicht doch eine absolute Scheißidee war? Ich linse auf die Anzeigentafel – in drei Stunden geht eine ThaiAirways nach Saigon. Home Sweet Home. Warum mach ich auch immer so was anstatt einfach mal zuhause zu bleiben so wie normale Leute? Kann ich nicht stattdessen nach Saigon fliegen, schreibe ich meinem Freund O. Da kenn ich mich aus und es ist auch nicht so gruselig. Ich wurde doch grad erst in Brasilien überfallen, es reicht doch irgendwann auch mal mit Abenteuer, oder?

Also die gute Nachricht ist, so wie in Brasilien wird´s in Indien schon mal sicher nicht, schreibt O. zurück. Und jetzt ab in den Flieger, und wenns blöd wird, haust du halt wieder ab. Schubs!

Ein Totschlagargument, dass mich seitdem eigentlich immer überzeugt: Kann schon gut sein, dass es scheiße wird – aber dann wird es wenigstens Neues Scheiße!

Ich habe  inzwischen nämlich festgestellt, dass diese Rumschubserei in Wirklichkeit ein Symptom für etwas ganz anderes ist: sich selbst Dinge zu erlauben. Weil das geht doch nicht so, einfach so. Einfach mal alles anders machen. Das haben wir doch immer schon so gemacht. Was nimmt die sich eigentlich heraus? Sich da hinzustellen und beschließen, dass sie jetzt Speakerin ist? Was hat die überhaupt zu sagen? Was bildet die sich denn eigentlich ein, so allein nach Indien?
Angst ist ein Muskel und die Schubser sind das Work-Out. Und nichts hilft besser außer: üben, üben, üben.

And now for something completely different, aber irgendwie auch nicht: meine Brüste. Genauer gesagt, ihr natürliches Lebensumfeld: Dreierpack-Unterwäsche. Klingt komisch, ist aber so: meine Unterwäscheschublade ist ein ziemliches Trauerspiel. Das liegt vielleicht auch daran, dass es in 99% der Fälle gar keine Schublade ist, sondern ein Kompressions-Wäschesack in meinem digitalnomadenkonformem Handgepäcksrucksack auf wechselnden Kontinenten.

Wer seinen Besitz auf 45 Liter beschränkt, hat in Leuchtbuchstaben PRAGMATISMUS auf der Stirn stehen. Ich trage meine Klamotten im Normalfall, bis sie auseinanderfallen, oder jemand ein Teil so schön findet, dass ich es ihr schenke. Practising Non-Attachment with Abandonment Issues. Und dieser Pragmatismus zeichnet sich im Unterbüxensortiment durch drei Eigenschaften aus: schwarz, Baumwolle, Dreierpack. Ich käme schon gar nicht mehr auf den Gedanken, mir etwas anderes zu erlauben.  Wozu auch? Fäschn-Bloggerin werde ich mit dieser Attitüde jedenfalls in diesem Leben nicht mehr. Egal wo auf der Welt ich jemandem in meinem Standard-Penneroutfit erzähle, dass ich für Frauenzeitschriften schreibe, höre ich nur was, du? So siehst du irgendwie gar nicht aus! Ähem, ja.

Bis ich beschloss, dass auch meine Girls einen Schubser vertragen können. Liest man ja immer wieder in diesen Hochglanzmagazinen, für die ich manchmal tätig bin: mit der richtigen Unterwäsche fühlen Sie sich wie ein Star! Ich hab das natürlich genausowenig geglaubt wie die Tatsache, dass man sich auch betrunken immer abschminken sollte, und beschloss, der Sache auf den Grund gehen. Weil wann, wenn nicht jetzt, sollte ich jeden Support annehmen, den ich so finden kann?

Ich fand ihn bei EIS und Wonderbra. Er trug Zebra und Schleifchen und ich seitdem auch. Mir kommt es immer noch etwas verrückt vor, etwas im Internet zu bestellen, was normalerweise in Umkleidekabinen standardmäßig zu Depressionen oder Erstickungszuständen bei mir führt (deswegen auch der Dreierpack – spart Zeit! Pragmatismus!) aber bei dieser Bra Fitting Option hat sich schon jemand was gedacht. Sitzt, wackelt, und hat Luft!

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Denn was doch eigentlich wirklich im Leben zählt, ist die richtige Mischung aus Support und persönlichen Freiheiten – da sind die Girls und ich uns einig. Vom Feeling her ein gutes Gefühl! Also ja, liebste Zeitschriftenindustrie, es gibt tatsächlich einen Unterschied zwischen 12.99 Dreierpacks und dem Gefühl von Zebraspitze auf der Haut. Ich weiß nicht genau, wie der Wonderbra das hinbekommt, aber irgendwie schubst er anders. Und seitdem gehen die Girls und ich so ein klein bisschen erhabener durchs Leben.

Konnte der Wonderbra verhindern, dass ich mich vor meinem ersten Talk vor 300 Leuten vor lauter Angst fast übergeben hätte, den Vortrag in der Nacht davor noch mal angetrunken und panisch umgeschrieben habe und mich den halben Tag gefragt habe, WAS ZUR HÖLLE ICH HIER SOLL AUSGERECHNET ICH, HIER SIND NUR ERWACHSENE DIE REDEN ÜBER ERWACHSENENTHEMEN WIE DIGITALISIERUNG UND SO UND JETZT KOMM ICH AN UND SAG ERSTMAL BLOWJOB? Ha, natürlich nicht! Es war die absolute Hölle!

Bis ich mir selbst die Erlaubnis gegeben habe, das was ich zu sagen habe, wichtig und relevant zu finden. Und mich da raus geschubst habe. Ab da wars so tiefenentspannt wie ein Becher Marsala Chai auf einem nordindischen Busbahnhof mit einer Herde müllfressender Wildschweine. Weil die wirklich guten Dinge manchmal eben genau da auf einen warten, wo man sich erst ein bisschen hinschubsen muss.

 

Danke an EIS für die freundliche Schubserei, äh Unterstützung.

Titelfoto (c) Aaron Tsuru tsurufoto.com

alle anderen Fotos: Lvstprinzip/Instagram

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

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