Vor drei Jahren begann es mit einer kleinen, unscheinbaren Entzündung. Beim Sex hatte ich plötzlich unsägliche Schmerzen. Mein Freund drängte mich (vernünftigerweise) dazu, zum Arzt zu gehen. Ich in meiner Phobie vor Ärzten jeglicher Art zögerte diesen Besuch heraus. Dumm, aber nun nicht mehr zu ändern.
Als ich mir endlich ein Herz gefasst hatte und meinen Frauenarzt besuchte, war das Ganze augenscheinlich kein Problem: „Hier, schmieren Sie da Clotrimazol drauf, in ein paar Tagen ist es weg.“
Erleichtert stiefelte ich also mit meiner Creme nach Hause, schmierte mich gewissenhaft damit ein und nach ein paar Tagen hätte ich meinen Freund gerne mal wieder verführt. Tja… Daraus wurde leider nichts. Bei der kleinsten Berührung am Eingang zur Vagina hätte ich schreien können vor Schmerzen.
Also wieder zum Arzt. Seine lapidare Bescheinigung: „Das bilden Sie sich ein. Hier ist alles in Ordnung, keine Entzündung, nichts.“
Aber ich war mir sicher: Diese Schmerzen kann sich kein Mensch einbilden. Es tat so unfassbar weh. Ich ging ziemlich geknickt nach Hause, erzählte meinem Freund von der „Diagnose“. Er war sauer. Was für ein inkompetenter Arzt! Wir müssen einen anderen finden. Also machte ich mich auf die Suche. Insgesamt besuchte ich zwei Ärzte und zwei Ärztinnen. Ich bekam selten etwas anderes als beim ersten Mal zu hören. Es sei nichts dort, was die Schmerzen verursache. Sie könnten da jetzt so auch nichts machen. Nein, sie wüssten nicht, was helfen könnte. In meinen Ohren klang es oft wie „Stellen Sie sich nicht so an, nur weil’s mal hier und da ein wenig ziept!“
In der Zwischenzeit war mein Sexleben komplett eingeschlafen. Mein Freund war total verständnisvoll – er wollte mir schließlich auch nicht weh tun. Aber ich merkte, dass es begann, an ihm zu zehren. Er und ich, wir sind beide sehr körperliche, sehr sexuelle Wesen. So haben wir uns kennen und schließlich lieben gelernt. Das Körperliche war vor allem anderen da. Und jetzt plötzlich gab es fast nichts Körperliches mehr. Nachts legten wir uns wie ein altes Ehepaar ins Bett, gaben uns ein Küsschen und schliefen ein. Der Morgen verlief ähnlich. Und tagsüber trafen wir uns auch kaum noch zwischen Arbeit, Sport und Freunden. Ich hatte das sichere Gefühl, dass wir auseinander drifteten und dass ich gerade nichts dagegen tun konnte. Ich konnte mit ihm nicht mehr über Sex und über uns sprechen. Wir, die sonst über alles reden konnten und es auch taten, waren plötzlich bei unserem Lieblingsthema Sex verstummt. Ich war so gefangen in meiner Angst vor diesen Schmerzen, dass ich gar keine Körperlichkeiten mehr zuließ. Bei allem hatte ich plötzlich Angst, es könnte dazu führen, dass mein Freund Lust auf Sex bekommt und ich ihn entweder abweisen müsste oder Schmerzen haben würde. Beides Horrorvorstellungen. Ich zog mich immer mehr in meinen Kokon zurück und blieb dort.
Dann kam es irgendwann zu einem großen Knall. Wir stritten uns, dass sich die Balken bogen. Er warf mir vor, achtlos mit meinem Körper umgegangen zu sein. Ich sei nicht schnell genug zum Arzt gegangen und überhaupt: Warum hatte ich so schnell aufgegeben, nur weil ein paar Ärzte nicht helfen konnten? Warum hatte ich nicht noch andere Sachen ausprobiert? Vielleicht sollte ich ja mal zu einem Psychologen gehen! Und so weiter. Er hatte durchaus berechtige Vorwürfe. Ich konnte das meiste sehr gut nachvollziehen.
Aber auch ich hatte ein paar Dinge zu sagen: Ich fühlte mich von ihm unter Druck gesetzt. Er meinte es garantiert nicht so, doch ich war jedes Mal unglaublich angespannt, sobald die „zu-Bett-geh“-Zeit erreicht war. Wir hatten den ganzen Tag noch keinen Sex gehabt, jetzt wäre der letzte Moment. Aber ich konnte nicht und ich wollte nicht.
Er dagegen konnte und wollte immer – so war ich ja auch gewesen. Mal zeigte er es deutlich, mal merkte ich, wie sehr es ihn unbewusst oder bewusst frustrierte. Für mich war das die Hölle: Der Mann, den ich liebe wie nichts anderes auf dieser Welt, leidet meinetwegen und ich zerstöre gerade alles, was wir uns gemeinsam erkämpft und aufgebaut haben.
Wir weinten beide viele Tränen, dann rappelten wir uns auf und beschlossen, es gemeinsam anzugehen. Wir machten uns online schlau, was vaginale Schmerzen bedeuteten und stießen auf Vaginismus und Co. Das Problem: Man kann im Prinzip nichts dagegen tun. Die Frauen, die Vaginismus haben, sind entweder für immer davon betroffen oder irgendwann eben nicht mehr. Es scheint kein Mittel dagegen zu geben. Man kann nur abwarten und Tee trinken.
Doch das hatten wir schon zur Genüge getan. Jetzt musste Action her!
Also fingen wir mit Eigentherapie an. Erst einmal wieder langsame körperliche Nähe. Wie zwei Teenager, die zum ersten Mal einen anderen Körper entdecken. Wir waren beide total unsicher und tapsig. Aber irgendwie war das auch schön. Viel Gestreichel und Gekuschel. Erst mal keine Penetration. Und als es dann doch dazu kam: Oh Wunder, keine wahnsinnigen Schmerzen! Ein leichtes Ziepen am Anfang, das war’s. Der Körper ist doch ein seltsames Ding.
Aber leider hatten wir uns zu früh gefreut: Jetzt war mein Körper zwar geheilt, doch ich hatte mir Sex so lange verboten, dass ich verlernt hatte, Lust zu verspüren. Ich fühlte mich auf einmal wie ein asexuelles Wesen, das absolut kein Verlangen nach Sex empfindet.
Ich selbst hätte ein paar Jahre zuvor noch mit dem Kopf über so eine Frau geschüttelt: Wie kann frau denn keine Lust bekommen, wenn ein unglaublich schöner Mann neben ihr im Bett liegt und ganz offensichtlich alles für sie tun würde? Aber es ließ sich so leicht nicht ändern…
Wieder machten wir uns im Netz schlau. Kann man Lust wieder herbei zaubern? Wenn ja, wie macht man das? Wir fanden Hausmittelchen, Tipps und Tricks. So richtig funktionierte das alles nicht.
Ich entschied mich, noch einmal mit meinem Arzt zu sprechen. Doch der war kurzfristig nicht da und ich wurde an seine Kollegin verwiesen. Was für ein Glücksfall! Sie war die erste, die meine Probleme ernst nahm. Unter Tränen erzählte ich ihr zuerst von den mittlerweile kaum noch vorhandenen Schmerzen und dann davon, wie schlimm es war, keinen Sex haben zu wollen. Ich fühlte mich einfach in meiner Rolle als Frau unzureichend. Ich erfüllte meinen Part der Abmachung nicht, ich war nicht so, wie eine Frau in unserer Gesellschaft zu sein hat: lustvoll, willig, offen, auf keinen Fall prüde und frigide. Wäre ich Single gewesen, wäre das alles gar nicht so dramatisch. Dann hätte ich eben eine Woche, einen Monat, ein Jahr lang keinen Sex gehabt und irgendwann wäre die Lust schon zurück gekommen. Aber ich hatte meinen Freund bereits fast zwei Jahre unter meinen Schmerzeskapaden leiden lassen und ich halte es nach wie vor für ein Zeichen seiner übermenschlichen Liebe, dass er bei mir blieb, zu mir hielt und alles tat, damit ich mich gut fühlte. Ich wollte, dass es hier und jetzt aufhörte. Ich wollte wieder ich selbst sein. Denn nicht nur mein Freund litt darunter. Auch ich litt. Ich war ein sehr sexuelles Wesen und ich liebte Sex. Das Kennenlernen eines anderen Körpers, die Nähe, den Schweiß, die Küsse, die Erregung, die Energie. Und plötzlich war mir das alles genommen worden. Ich fühlte mich beraubt. Ein großer Teil meiner Selbst und ein wichtiger Teil meiner Art zu leben war verloren und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn zurück bekommen würde.
Das alles brach aus mir heraus. Zwar konnte auch meine Ärztin mir nicht wirklich weiter helfen, doch es tat gut, einmal mit jemandem darüber zu sprechen. Es war großartig, dass sie mich wegen meiner Schmerzen nicht als Hypochonder abstempelte. Was die Lustlosigkeit anging: Sie beruhigte mich und meinte: „Wenn Sie wüssten, wie viele Frauen ich täglich hier habe, die über Ähnliches klagen!“ Ich war also nicht einzigartig und seltsam, sondern total normal. Jede Frau hat laut meiner Ärztin mindestens einmal im Leben eine Phase, in der sie einfach keine Lust auf Sex hat. Die meisten Frauen würden sogar häufig so fühlen. Ich war baff. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Wenn man Fernsehen, Werbung und meinen Freundinnen glauben durfte, gab es so etwas wie keine Lust gar nicht. Ich hatte mich als große Ausnahme gesehen, als diejenige, die nicht ins Bild passt. Das war wohl auch der Grund, warum ich mit noch niemandem über mein Problem gesprochen hatte. Ich schämte mich. Ich schämte mich, dass ich keine Lust auf Sex hatte, dass ich Schmerzen beim Sex hatte. Was für ein Blödsinn! Es gab nichts, wofür ich mich schämen müsste. Mein Körper tat, was er eben tat. Ich hatte sowieso wenig Einfluss darauf.
Doch das Gespräch mit meiner Ärztin machte mich nachdenklich: Wir Frauen sollten öfter über Lustlosigkeit und eine „kein-Bock“-Attitüde sprechen, wenn wir sie verspüren. Es sollte in diesen sogenannten Frauenzeitschriften genau so viele Hinweise darauf geben wie es Tipps für den perfekten Blowjob oder die tollste Diät gibt.
Wir sollten mehr darüber sprechen, wie es wirklich ist und nicht so sehr darüber, wie Männer, Gesellschaft und Frauenmagazine die Frauen gerne hätten.
Meine Ärztin war ähnlicher Meinung: Wenn alle Frauen, die täglich bei ihr waren, einen Artikel schrieben, gäbe es wesentlich interessante Zeitschriften für Frauen. Ich glaube, das wäre ein lohnenswertes Experiment. Vielleicht widme ich mich dem irgendwann mal…
Leider konnte meine Ärztin mir sonst nur wenig helfen. Sie beruhigte mich und machte mich von einem Alien wieder zu einer normalen Person – was ja eigentlich auch schon ganz schön viel ist. Meine Lust konnte sie natürlich nicht zurück zaubern.
Nach unserem Gespräch setzte ich allerdings die Pille ab. Ich hatte es schon länger vor, doch ich hatte mich dann doch nicht dazu durchringen können. Sie ist einfach zu praktisch. Nachdem ich nun im Netz gelesen hatte, dass manche Frauen mit der Zeit sexuelle Probleme wegen der Pille bekamen und meine Frauenärztin meinte, meine Unlust könne durchaus an den darin enthaltenen Hormonen liegen, entschied ich mich endlich dafür. Das war die beste Entscheidung seit langem! Ich spüre meinen Körper endlich wieder richtig. Zwar ist die Menstruation nun gerade an den ersten zwei Tagen die Hölle, doch dafür spüre ich auch alles andere wieder mehr. Die dicke Schicht Zuckerwatte um mich herum hat sich in Luft aufgelöst.
Das Lustproblem löste es nicht, aber wir hatten jetzt auch die Schnauze voll. Mein Freund und ich, wir fingen einfach an. Wir machten uns Pläne (wir sind einfach so). Einen Monat lang jeden Tag sexuelle Interaktion. Bis auf meine hammerharte Menstruationszeit zogen wir diesen Plan auch ziemlich gut durch. Ich hatte den Auftrag, mich täglich selbst zu befriedigen. Da sagt man ja nicht nein, oder? Es läuft also gerade ganz gut. Ich muss mich zwar immer noch selber dazu zwingen, endlich loszulegen – von alleine kommt die Lust nicht. Ich brauche lange, um in Fahrt zu kommen, aber wenn es einmal so weit ist, dann ist es eigentlich wie früher. Wir haben natürlich nicht mehr so häufig Sex wie früher, vielleicht einmal in der Woche, manchmal einmal alle zwei Wochen. Aber im Vergleich zu vor einem Jahr, als gar nichts mehr ging und ich mich gänzlich vor der Welt verschlossen hatte, ist das meiner Meinung nach ein enormer Fortschritt. Ich hoffe, dass ich irgendwann diese Tür in meinem Inneren wieder aufstoßen kann und mein sexuelles Selbst wiederfinde. Bis dahin ist es aber, glaube ich, noch ein längerer Weg. Ich habe mir Sex so lange verboten, dass diese Konditionierung nicht innerhalb weniger Wochen wieder rückgängig gemacht werden kann. Aber ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind.
Text: Mimosa
Titelfoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com
Corinna
Danke für diese ehrlichen Worte. Denn mir geht es seit langer Zeit nach einer Unterleibs-OP ähnlich und der Freund und ich “arbeiten” daran gemeinsam. Mit Ehrlichkeit, Offenheit und Geduld klappt es. Stetig, langsam, aber es klappt. Toll, dass ich mal lese, dass es auch anderen so gehen kann. Danke!