Psychische Infektion und der Weg zum Incel. Einsamkeit führt zu Wut führt zu Hass führt zu Gewalt.
Ich hatte Angst vor Intimität. Ich fühlte mich hässlich, ungeliebt und giftig. Eine beschissene Kombination, die eine endlose Spirale mit sich bringen kann. Ich fühlte mich als Opfer. Und um mir den Weg so einfach wie möglich zu machen, gab ich den Frauen die Schuld. Die Schuld auf andere zu schieben ist immer die einfachste Lösung. Für alles. Ich wurde zum Incel, also zum „Involuntary Celibate“ – ich bekam keine ab.
Frauen ignorierten mich. Fanden mich nicht attraktiv. Ich konnte ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich ziehen (…Bemüht mit meiner Verschlossenheit, dem Verstecken, der Angst und dem „nicht-mit-ihnen-reden…) Warum wohl? „Blöde Schlampen. Wenn die nur wüssten! Und wenn die sich die Mühe nicht machen, dann sollen sie doch zur Hölle fahren!“ grunzte ich in meinem Kopf. Sie waren Schuld. Nicht ich.
Das Licht brach plötzlich anders. Die Welt hatte einen anderen Teint. Alles wurde hässlicher. Ich fand immer weniger Frauen attraktiv. Oder sonst irgendetwas: Natur, Kunst, Architektur, Farben. Frust und die eigene Unzufriedenheit geben der Welt einen schleimig-bitteren Überzug. Der zum Fingerzeigen animiert. „Das sollte besser sein! Das sollte schöner sein! Das ist alles Scheisse!“
Mich plagte weiterhin mein Wunsch nach Leidenschaft, nach Sex und Intimität. Die Unsicherheiten meiner triefenden emotionalen Wunden musste ich einfach zukleben, weshalb ich versuchte, sie von meinen körperlichen Begierden zu trennen.
Medizinisch gesehen war ich mittlerweile sattelfest. Ich vertraute meinen Ärzten, meiner Medikation und meiner Konsequenz, jeden Tag meine Pille zu nehmen. Ich suchte wieder Sex. Aber mein Zugang war gänzlich anders. Früher wollte ich Frauen befriedigen. Ich wollte sie zum Kommen und zum Lachen bringen. Lange leidenschaftlich lecken. Spüren und riechen. Kitzeln und Kichern. Aber das zählte nicht mehr. Das hatte für mich kein Bedeutung mehr.
Meine Frustration würde Sex auf ein rutschiges Rein und Raus reduzieren. Penetration. Simplifiziertes in-sie-reinstecken und mit Sperma auffüllen.
Passiv-aggressives Grunzen und Prusten, anstatt leidenschaftliches Stöhnen. A-rhythmische Stöße ersetzten delikates Fingerspitzengefühl. Ich befand mich in einer Testosteron-gesteuerten Verzweiflung, in der billige Porno-Fantasien kreative Vorstellungskraft ersetzten. Kein Herz, keine Seele, kein Sex. Nur ein verzweifeltes „UUuuuuaaagggghhh“…gefolgt vom klebrig-uninspirierten „platsch“ in den Gummi.
Mein Erfolg bei Frauen war demnach offensichtlich eingeschränkt. Sowie mein Durchhaltevermögen. Das lag zwischen ein paar Sekunden und ein paar Sekunden mehr, bevor mein uninfektiöses Sperma sich auf den Weg machte. Selbstverständlich wäre das nie nüchtern passiert. Alkohol war mein stolzer Weg zum Mut.
Ficken um des Fickens willen. Mein Sex wurde brutal. Aber nicht auf die schöne, leidenschaftliche Art, wie man mit Partnern manchmal ausprobiert. Sondern auf die egozentrische Art. Mich mich mich. Ich war wütend und aggressiv im Bett. Und mir wars egal. Es war der einzige Ort, an dem ich mir ein wenig Macht einbilden konnte.
Desto weniger Erfolg ich mit Frauen hatte, desto aggressiver wurden meine Fantasien. Mehr Frust, mehr Wut. Die Spirale drehte sich abwärts. Reinstecken und Abspritzen.
Ein Incel-Dasein – bitter, müde, wütend und traurig. Und einsam. Meine Sexualität war gemeinsam mit meiner Zufriedenheit tief in der Erde vergraben.
Von all den schlimmen Sachen, die das Virus aus mir herausholte, war diese Verzweiflung und das daraus resultierende Verhalten am schändlichsten. Obwohl diese Konfrontation auch notwendig war. Diese Erkenntnis. Vor allem in Zeiten der #metoo-Debatten, in denen beim Thema Sexualität gerne generalisiert wird, müssen Ursprünge für Verhalten erkannt werden.
Da ich weder Macht, Erfolg noch Geld vorzuweisen hatte, um mich abzulenken, blieb mir nichts als die Konfrontation mit mir selber übrig.
Und so kam ich drauf, wo der Ursprung meiner Frustration lag. Was HIV mir genommen hatte.
Die Wahrnehmung meiner Sexualität – die Erkenntnis meiner Leidenschaften und meiner Fähigkeiten. Von dem was ich kann, was ich will, was ich nicht will. Für mich bedeutete sexuelles Bewusstsein absolute Freiheit – und dieses musste ich wieder finden, um die Angst und das Trauma der Infektion zu überwinden. Denn so verbissen wollte ich nicht weiterleben.
“Everyone who is born holds dual citizenship, in the kingdom of the well and in the kingdom of the sick. Although we all prefer to use the good passport, sooner or later each of us is obliged, at least for a spell, to identify ourselves as citizens of that other place.” schreibt Susan Sontag in “Krankheit als Metapher”.
Dieser Text ist Teil einer Serie über Philipps Leben mit HIV, die in den kommenden Wochen auf Lvstprinzip erscheinen wird. Ich (Theresa) habe mich für den provokanten Titel “Wie HIV mein Sexleben verbessert hat” entschieden, um Philipps wunderbar selbstironischer Art, durchs Leben zu gehen, gerecht zu werden. “We´re all just a bunch of beautiful losers” sagen wir oft. Im Lauf der Textarbeit sind wir enge Freunde geworden. Die Vorgeschichte gibt es hier: So hässlich schön und so schön hässlich und hier geht es zu Teil 1.
Text und Photo: (c) Philipp Spiegel
Wie HIV Mein Sexleben Verbessert Hat - Teil 2 • Romantischer Wirds Nicht
[…] Text ist bereits auf Lvstprinzip.de und auf Philipp-Spiegel.com […]