Wortfindungsstörungen – oder: Essen Sie diese Pflaume noch? von Natalie Rabengut

Richtig gute erotische Texte schreiben? Ein Kinderspiel für diese Frau! Natalie Rabengut ist eine der besten (und erfolgreichsten) Erotikautorinnen Deutschlands. Ihre rund 16 Romane und „viel zu viele Kurzgeschichten“ mal mehr Chick Lit, mal etwas mehr SM verkaufen sich sowohl als Ebook als auch gedruckt wie geschnitten Brot. Außerdem bloggt Sie über das Erotikautorenbusiness und manchmal schreibt sie auch für Lvstprinzip  – und ich liebe sie dafür!

Wortfindungsstörungen  – oder: Essen Sie diese Pflaume noch?

Ich schreibe aus beruflichen Gründen Liebesgeschichten mit expliziten Sexszenen, deswegen tituliere ich meine Bücher als »erotische Liebesromane«.

Da fängt das Dilemma schon an: Was für den einen Leser explizit ist, ist für den nächsten Gossensprache. Was für die eine Leserin blumige Sprache ist, lässt mich an Obstsalat denken.

Überhaupt ist es schwierig, die richtigen Ausdrücke zu finden. Zwischen medizinischen Fachtermini und schwülstigen Umschreibungen passt manchmal kein erigierter Schwellkörper mehr. Mein Grundvokabular besteht aus Schwanz, Pussy und Nippel. Das ist quasi meine Komfortzone, was bedeutet, dass ich mich beim Lesen des Textes danach nicht schämen muss. Ich schreie trotzdem nicht »hier«, wenn es um eine Lesung vor dem Seniorenklub »Schöne Eifel e. V.« in der Stadtbibliothek geht.

Aber mit einem schönen Wort ist es ja nicht getan! Mitunter werden solche Sexszenen ganz schön lang, schwitzig und intensiv – da stört es die geschulte Leserin und den geübten Leser, wenn immer die gleichen Begriffe benutzt werden. Also muss ich mir als Autorin nicht nur das Gehirn verrenken, ob die Klitoris wirklich vom Mann bequem erreicht werden kann, wenn er hinter ihr und sie auf den Knien und überhaupt – sondern ich muss auch noch ansprechende Synonyme finden. Hilfe!

Am Anfang habe ich mich da wirklich schwergetan, inzwischen greife ich tief in die Begriffskiste. Nur Obstvergleiche kommen mir nichts ins Haus. Ich kann alle Vergleiche zu Kirschen und sonstigen Steinfrüchten ja durchaus nachvollziehen, aber ich höre in meinem Kopf sofort meinen Opa oder meinen Vater einen schmutzigen Witz erzählen und zwar mit »Pflaumen« als Pseudonym für das weibliche Geschlechtsteil.

Äh, nein danke. Allein beim Gedanken daran stellen sich die feinen Härchen in meinem Nacken auf und meine Fußnägel rollen sich hoch. Überhaupt haben Familienangehörige nichts in meinem Kopf zu suchen, wenn ich versuche, ansprechende erotische Szenen zu schreiben.

Ein Ausflug in andere Sprachen kann beispielsweise hilfreich sein. Analsex ist unter den Lesern beliebt, ich persönlich möchte allerdings bei dem Wort »Analstöpsel« nur trocken würgen. Also kommen bei mir kurzerhand »Buttplugs« zum Einsatz. Da streite ich mich dann aber auch mal mit der Korrektorin über die Schreibweise: Im Deutschen gibt es ja keine Komposita, die nicht zusammengeschrieben werden, während im Englischen Kleider Schrank statt Kleiderschrank vollkommen in Ordnung ist, müsste es streng genommen »Butt-Plug« heißen. Das sieht meiner Meinung nach aber nicht hübsch aus und »Butt Plug« geht aus dem oben genannten Grund nicht. Und da soll noch einer behaupten, mein Job sei einfach. Mitnichten, meine Freunde.

Ich bin gelobt worden, weil ich Sexspielzeug in den Szenen zum Einsatz gebracht habe. Ich bin gelobt worden, weil kein Sexspielzeug benutzt wurde (anderes Buch). Variation und Abwechslung sind halt gefragt. Der Versuch, den Lesern alles recht zu machen, ist ohnehin ein Vorhaben, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

Früher habe ich in den ersten Fassungen immer irrsinnige Sätze gebaut, weil ich Umschreibungen wie »untenrum« vermeiden wollte. Untenrum – wo genau? Auf Höhe der Kniescheibe vielleicht?

Irgendwann habe ich mich damit abgefunden, dass ich neben Pussy nicht um einen weiteren Begriff herumkomme. Vagina ist mir zu medizinisch, Fotze zu abwertend und Spalte zu ungenau. Letztlich habe ich mich für Möse entschieden, doch manchmal, wenn es wirklich gar nicht anders geht, muss ich mir auch mit Spalte oder der berühmten Feuchtigkeit behelfen.

Und die Männer erst. Was bei den Frauen die Obstvergleiche sind, ist beim männlichen Part der Griff in den Waffenschrank oder der Ausflug ins Tierreich. Lustschwerter, Lanzen, Prügel und Stäbe haben in meinen Geschichten nichts zu suchen – ebenso wenig der berüchtigte Rüssel oder Pferderiemen. Es mag ja vielleicht (aber nur vielleicht) für den betreffenden Herrn nett sein, dass der Autor/die Autorin ihn mit viel … Fleisch bedacht hat, aber wer möchte das denn? Tiere, Obst und Eltern bitte den Raum verlassen.

Mir ist übrigens aufgefallen, wie vulgär (Schwanz, Pussy, ficken, Nässe, Nippel) ich geworden bin, als ich die Vorgaben eines Verlages in den Händen hielt, aus denen klar hervorging, dass die Protagonistin auf keinen Fall das Wort »Schwanz« benutzen darf. Der Protagonist aber schon, er durfte auch »ficken« sagen, sie wollte eher »Liebe machen«. Da fing der Eiertanz erst richtig an. Haha, unbeabsichtigtes Wortspiel! Eier, Hoden – Nüsse und Kronjuwelen finde ich unschön.

Wo war ich? Ach ja, Zensur! Ich war empört. Meine (erfundenen) Frauen empfinde ich nämlich als emanzipiert und bei mir ist der Clue meist, dass sie eher unverbindlich ficken möchte, während der Mann sein Herz in die Waagschale wirft. Da stand ich dann und musste auch noch aus ihrer Perspektive erzählen. In so einem Moment fragt man sich schon, ob Pussy ein harmloses Wort ist oder nicht. Ich habe beschlossen, dass es zwar etwas wilder als »Spalte« ist, aber nicht so wild wie »Muschi«, und habe es benutzt.

Außerdem gibt es ja grundsätzliche Fragen, die mir den Blutdruck in die Höhe treiben. Ich zeichne idealisierte Figuren, denn kaum jemand möchte über schlechte Zähne, Körpergerüche und Fußpilz lesen. Wobei es für diese Vorlieben sicherlich auch einen Markt gibt.

Deswegen versuche ich meist, die körperlichen Eigenschaften der Figur leicht vage zu lassen, damit die Leserschaft, ihr eigenes Ideal anwenden kann. Glatte Haut oder eine behaarte Brust beim Mann? Runde Schenkel und spitze Brüste bei der Frau? Rasierte Intimzone? Ist es jetzt sexy, wenn Männer schwitzen oder nicht? Glitzernde Schweißperlen? Ganz (Schweiß lief an seinem Rücken hinunter) oder gar nicht (Eine feine Schweißschicht glänzte auf seiner Brust)? Oder beim Sex an sich: klitoraler Orgasmus oder vaginaler?

Romantischer geht’s beim Schreiben fast nicht. Die Fragen hören kaum auf und manchmal weiß ich nach der dritten Sexszene auch nicht mehr, was ich da eigentlich tue. Viele Leser legen in der geschriebenen Erotik Wert auf Verhütung. Prinzipiell eine lobenswerte Eigenschaft, für mich als Schreiberin doch manchmal ein Albtraum. Erst letztens hatte ich mich auf eine wunderbare Sexszene in der Badewanne eingestimmt und war quasi mittendrin, als mir aufgefallen ist, dass das mit einem Kondom kompliziert werden könnte. Um nicht zu sagen unmöglich.

Also doch der Küchentisch. Oder wie oft hatte ich den Küchentisch schon? Dann halt im Stehen gegen die Wand. Moment! Doch lieber klassisch im Bett? Ich werde oft gefragt, ob ich einen persönlichen Bezug zu BDSM habe und die Antwort liegt im obigen Absatz. Es ist für mich einfach spannender und vielfältiger zu beschreiben. In einer Kurzgeschichte habe ich zwischen einer und zwei Sexszenen, in Romanen gern mehr, über den Daumen gepeilt würde ich auf fünf tippen. Wenn ich dann auch mal Fesseln, Gerten, komplizierte Device-Bondage-Apparaturen und Lustschmerz beschreiben kann, bietet das einfach mehr Abwechslung. Außerdem bevorzuge meine Leserinnen Männer mit leicht dominanten Tendenzen. So einfach ist das.

Einfacher jedenfalls, als immer die richtigen Worte zu finden. Schwanz.

Text: Natalie Rabengut

Headerphoto: Aaron Tsuru (c) Tsurufoto.com

Theresa Lachner ist Journalistin, Systemische Sexualberaterin und die Gründerin von LVSTPRINZIP.

Ein Kommentar

  • Antworten Mai 16, 2016

    corpo strano

    Dieser Eintrag hat mir nicht nur so manches Grinsen entlockt, sondern mich auch etwas versöhnlicher mit meinem Hirn gestimmt. Jetzt komme ich mir nicht mehr ganz so doof vor, wenn doch selbst Profis in diesem Thema unter Wortfindungsstörungen leiden und von „Textour“-Problemen heimgesucht werden.

    Genau aus diesem Grund habe ich nämlich schon mehrfach den Versuch abgebrochen, einen erotischen Text zu verfassen – es nervte einfach nur noch. Und mit dem, was man in diversen „Special Interest“-Foren und auf entsprechenden Web-Präsenzen so findet, wollte ich mich auch nicht identifizieren müssen. Das kam mir nämlich meist so vor, als hätte man genausogut ein paar Buzzwords aus dem jeweiligen Neosexualitäten-Genre hundert Mal wiederholen können, zur Auflockerung mit einigen Gedankenstrichen, Ellipsen und Ausrufezeichen dazwischen.

    Aber immerhin sind da die Vokabeln unter den Eingeweihten unzweideutig so gut wie vereinbart, gibt es mitunter eigene Wikis und sogar offizielle Wikipedia-Einträge zur Absicherung. Mit dem Wörterbuch der Paläosexualität konnte ich mich hingegen noch nie anfreunden, von gossig-schmutzig bis klinisch-steril, ob Obstsalat und Rohkost, Brehms Tierleben oder Insignien und Waffenarsenal.

    Gerade frage ich mich, ob ich auch deshalb expliziten Sexszenen in erotischer Literatur kaum etwas anderes als Fremdschämen abgewinnen kann: Ich habe wohl Wortassoziationsbehinderungen. Tatsächlich finde ich ein paar Gedichte z. B. von Rilke anregender. Da geht dann meine Phantasie wirklich mit mir durch, wird’s mir nicht allein warm ums Herz und feucht in den Augen.

    Also sollte ich jetzt weiterlesen und hier lernen, wie man mit dem Sex redet statt über ihn…

    Doch erstmal:

    Vielen Dank!

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